Lehre und Rechtsprechung im französischen Zivilrecht des 19. Jahrhunderts
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Nach Inkrafttreten des Code civil zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es zunächst weder eine Dogmatik noch eine gerichtliche Anwendungspraxis. Wie allgemein zu lesen ist, kam es bei deren Herausbildung in Frankreich zu einer Spaltung zwischen Rechtsprechung und Lehre, die erst gegen Ende des Jahrhunderts überwunden werden konnte. Anhand berühmt gewordener Entwicklungen dogmatischer Einzelfragen, die zusammen das zeitliche Spektrum bis zum Ende des Jahrhunderts abdecken, unternimmt es die Arbeit von Mathias Gläser, über wechselseitige Einflüsse Rückschlüsse auf das bis jetzt kaum näher erforschte Verhältnis zwischen Lehre und Rechtsprechung zu ziehen. Überraschenderweise läßt sich in diesem Rahmen der vielbeschworene Gegensatz zwischen Theorie und Praxis nicht nachweisen. Vielmehr drängt sich der Schluß auf, daß die Lehre an der im allgemeinen vornehmlich der Rechtsprechung zugeschriebenen Rechtsfortbildung von Anfang an erheblichen Anteil hatte. Gleichzeitig ergeben sich Zweifel an gängigen Aussagen über die „Schule der Exegeten“, der für gewöhnlich nahezu die gesamte Lehre zum Code civil bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert zugerechnet wird. Deren eng am Wortlaut der Kodifikation ansetzende Auslegungsmethode, die im Rückblick insbesondere als realitätsfern kritisiert wurde, wurde nämlich sehr flexibel gehandhabt. Damit konnte sie innerhalb gewisser Grenzen die Anpassung des positiven Rechts leisten, die dadurch erforderlich wurde, daß den sich ändernden Rahmenbedingungen ein in seinem Wortlaut bis zur Jahrhundertwende so gut wie unveränderter Code civil gegenüberstand. Mit diesen Erkenntnissen ist das Buch zugleich ein Beitrag zu der erst in jüngerer Zeit aufgekommenen Kontroverse um die Bewertung der französischen Zivilrechtslehre des 19. Jahrhunderts.