Zahlreiche Autorinnen und Autoren der Gegenwart begeben sich in ihren Texten auf literarische Spurensuche in den kulturellen Interferenzräumen ihrer Herkunft, Sehnsucht oder Imagination. Häufig setzen sie sich - wie etwa Olga Tokarczuk, Maja Haderlap, Katja Petrowskaja, Jaroslav Rudis oder Karolina Kuszyk - dabei mit ererbten Traumata auseinander und beschäftigen sich mit der Historie von Regionen plurikultureller Prägung im östlichen Europa wie Niederschlesien, Böhmen, Podolien, Siebenbürgen oder dem Wolgagebiet. Vor allem die Enkelgeneration thematisiert Kriege, Zerstörungen, Vernichtungen und Zwangsmigrationen, aber auch Neuanfang und Integration auf neue Art und Weise. Der vorliegende Band unternimmt den Versuch, den von der Kunstgeschichte/Denkmalpflege geprägten Begriff des Shared Heritage, des gemeinsamen bzw. geteilten kulturellen Erbes, das durchaus auch als schwieriges Erbe verstanden werden kann, auf literarische Texte zu beziehen.
Silke Pasewalck Bücher




Zum Beispiel Estland
Das eine Land und die vielen Sprachen
Ein Blick in die europäische Peripherie, um am Beispiel Estlands Fragen des kulturellen Zusammenlebens zu reflektieren. Wenig wird in deutschen Medien, Schul- und Sachbüchern über Estlands Geschichte und Gegenwart vermittelt. Dabei war dieses kleine Land im äußersten Nordosten Europas 700 Jahre lang Schauplatz deutscher (Kolonial-)Geschichte. Estland steht heute, nach fast 50 Jahren unter sowjetischer Herrschaft, als souveräner Staat und Mitglied der Europäischen Union vor kulturellen und politischen Herausforderungen, die Europa insgesamt betreffen und dort in nuce verhandelt werden. Hier stellen sich Fragen nach dem Mit- und Gegeneinander der Sprachen und Kulturen, nach deren Konkurrenzen, Asymmetrien und Überlagerungen, die einerseits Ausdruck von Herrschaft und Machtausübung sind, andererseits von produktiven Adaptationen und Übersetzungsvorgängen zeugen. Der Band befasst sich mit den sich palimpsesthaft überlagernden, bestreitenden und durchdringenden Kulturen Estlands in Literatur, Alltagskultur, Film und so weiter. Angesichts weltpolitischer Spannungen, die eine kulturelle und politische Stabilität im Baltikum in Bedrängnis bringen, bemüht sich der Band um eine möglichst unaufgeregte Haltung und um unterschiedliche Perspektiven. Mit Beiträgen u. a. von Karsten Brüggemann, Ljubov Kisseljova, Terje Loogus, Heinrich Detering, Liina Lukas und Ruth Florack.
Interkulturalität und (literarisches) Übersetzen
- 334 Seiten
- 12 Lesestunden
In der Literatur- sowie in der Translationswissenschaft ist das Konzept der Interkulturalität virulent und von wachsender Bedeutung, wenn auch unterschiedlich profiliert. Während der Begriff in der Literaturwissenschaft lebhafte Debatten entfacht hat, ist er in der Translationswissenschaft kaum Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen. Die Beiträge des Bandes nähern sich dem Verhältnis von Interkulturalität und Übersetzen theoretisch und fachgeschichtlich sowie aus der Perspektive der Übersetzungs- und Unterrichtspraxis. Inwiefern ist kulturelle Alterität bzw. Differenz Resultat einer Zuschreibung oder einer Beschreibung der Zustände, und welche Subsumptionen finden in jedem Fall unweigerlich statt? Welche Rolle spielen Macht und Asymmetrie in interkulturellen Beziehungen und bei Übersetzungen? Welches interkulturelle Vermittlungspotential haben literarische Texte? Was bedeutet Kultursensitivität der Übersetzung, und in welchem Verhältnis stehen Sprache und Kultur in Theorie und Praxis der Translation? Diese Fragen waren Anstoß für eine interdisziplinäre und internationale Tagung, die in der Germanistik in Tartu (Estland) im Herbst 2011 stattfand und deren Ergebnisse in diesem Band dokumentiert sind. Die Autoren und Autorinnen zeigen an Fallstudien und historisch-theoretischen Analysen die vielfältigen Anknüpfungspunkte – aber auch die Unterschiede – zwischen den Disziplinen auf.
Die 'Poetik der Sinne' ist für Rilkes Spätwerk zentral und unterstreicht seine Bedeutung für die Lyrik der Moderne. Ausgehend vom Bild der 'fünffingrigen Hand' der Sinne im Aufsatz „Ur-Geräusch“ (1919) erschließt die Arbeit erstmals die poetologische Argumentation des Autors und weist sie in der dichterischen Praxis nach. Rilkes Poetik folgt weder einer Hierarchie der Sinne noch synästhetischen Konzepten; vielmehr halten alle fünf Sinne auf eine Grenze des sinnlich Erfahrbaren zu. Das Sehen, werkgeschichtlich bislang leitend, wird im Spätwerk nicht durch das Hören als neuem Leitsinn abgelöst, sondern bleibt in umgewerteter Weise für das poetische Raumkonzept unabdingbar. Sehen und Hören sind überdies eingespannt in eine Konfiguration der Sinne, in der sich die Spannung zwischen Faßbarkeit und Unfaßbarkeit realisiert.