Gesetz und Paranoia
Freud, Schreber und die Passionen der Psychoanalyse






Freud, Schreber und die Passionen der Psychoanalyse
Die zwei Körper des Volkes und die Endspiele der Souveränität
In seinem aktuellen Buch geht Eric Santner den Verwandlungen des Prinzips der Souveränität in der europäischen Moderne nach. Wenn Ernst Kantorowicz argumentierte, dass der »zweite Körper des Königs« dem Prinzip der Souveränität eine fleischliche Dimension verlieh, ist Santners These, dass diese mit dem Verschwinden des Souveräns nicht aus dem politischen Feld verschwand. Vielmehr ging das »Fleisch« der Souveränität in den Volkskörper und also in die demokratische Moderne über, wo es am Knotenpunkt von Körper und Signifikant des Subjekts erscheint. Santners Begriff des Fleisches fasst so eine Dimension der Erfahrung der Moderne, die er in Theorien und Praktiken des literarischen und visuellen Modernismus aufzeigt und im Kern der modernen Biopolitik erkennt. Santner stellt Analysen von Kantorowicz, Carl Schmitt, Agamben und Arendt Interpretationen von Hofmannsthal, Kafka und Rilke gegenüber und zeichnet dabei die Wanderung des Fleisches vom Körper des Königs in den des Volkes nach.
Betrachtungen zu Freud und Rosenzweig
Eric L. Santner hat mit »Zur Psychotheologie des Alltagslebens« ein inhaltlich wie methodisch maßgebendes Buch geschrieben. Es präsentiert eine vorbildliche Verbindung freudscher Texte mit philosophischen Grundfragen der Moderne, die Santner am Leitfaden des Sterns der Erlösung von Franz Rosenzweig entwickelt. Mit Rosenzweig eröffnet Santner die Frage, ob nicht der Alltag in der Moderne, unter der Herrschaft eines von traditioneller Einbindung und selbstverständlichem Ethos befreiten Über-Ichs, selbst eine permanente Fehlleistung ist bzw. eine fehlgehende Orientierung bietet, die das Subjekt in der zwanghaften Position untoter Erfahrungsarmut gefangen hält. Dagegen setzt Santner eine Subjektposition inmitten des Lebens, eines Lebens, das nicht mehr unbewusst durch das Versprechen einer Ausnahme gestützt wird, sondern sich ausnahmslos auf das Alltagsleben einlässt. In nur scheinbar paradoxaler Umkehrung ist es gerade die Annahme der Unverfügbarkeit des Wollens, Sprechens und Handelns, die Verantwortung ermöglicht. Diese Verantwortung bildet das Alltagsleben. So findet Santner in Freud eine theologische Dimension und in Rosenzweig die Analyse der Psyche, um mit ihnen gemeinsam eine Basis gemeinschaftlichen Lebens zu errichten, die der Totalität moderner Heilsversprechungen entgeht.
Exploring the intersection of sovereignty and the human body, Eric L. Santner examines how the rituals of kingship persist in contemporary democratic societies. He argues that the "carnal" aspects of sovereignty have shifted to the populace, where the legacy of royal authority manifests in the psyche and physicality of modern individuals. By connecting influential thinkers like Freud and Kafka, Santner reinterprets the implications of modernity, highlighting the transition from subjecthood to secular citizenship and its impact on politics, psychoanalysis, and literature.
In his own reading of Rainer Maria Rilke, Martin Heidegger reclaims the open as the proper domain of human existence, but suggests that human life remains haunted by vestiges of an animal-like relation to its surroundings. Walter Benjamin, in turn, was to show that such vestiges have a biopolitical aspect.
Exploring the interplay between sexuality and theory, Eric Santner's work delves into the allure of critical thinking since the 1960s, challenging the prevailing "postcritical turn." By weaving his intellectual history with personal experiences, he reexamines major theoretical paradigms, emphasizing their transformative potential beyond mere suspicion. Santner argues that dismissing these theories overlooks their vibrant, life-affirming qualities, ultimately revealing the profound "gay science" that underpins their appeal and the libidinal energy they evoke.
English (translation)Original German