Ein Platz, Cafes und Bars, Tische und Stühle auf den Trottoirs. Leute, Autos,
Kreisverkehr. Happy Hour, die Stunde nach dem Strand und vor dem Essen. Leute
sitzen zusammen, reden, trinken, Urlaubstage auf einer spanischen Insel,
Horror vacui, die Leere, voll und fett . Wer sind die sechs Leute, die da
reden? Freunde derer, die sie beobachtet? Oder erfundene Figuren derer, die
sie erzählt? Spiegelbilder von denen, die unseren Alltag besetzen und sich
gegen die innere Leere alles einverleiben, von Vitamin Koks bis Vitamin Dirt?
Während die Erzählerin Szene um Szene beobachtet, gerät sie immer tiefer in
innere Existenzmuster hinein. Aus freigelegten Tiefenschichten steigt ein
Blick auf die Welt nach oben, der keine Schranken kennt.
Ich wird dir erklären, hat Leo mir gesagt: Adam, das waren Adam und Eva in
einem Körper vereinigt, ehedem. Das war der Mensch, den Gott gemacht hat, und
so war es gerecht, und warum es anders gekommen ist, kann ich dir auch nicht
sagen. Aber ich weiß: wenn die Liebe zwischen zwei Menschen kommt, dann hat
sie die Funktion von Leim, und die zwei können eins werden zusammen, wie Adam.
Und wenn ihnen kein Gedanke auf die Seite geht, dann hält der Kleister, und
sie haben das Paradies schon auf der Erde. Seit es Menschen gibt, gibt es den
Mythos von der einen, einzigen, großen Liebe, von dem zustand, in dem alles,
Freude und Schmerz, aufgehoben ist in einer Harmonie, die ertragen kann, was
immer ihr widerfährt. Aber seit es Menschen gibt, gibt es auch den Zweifel an
jenem Mythos, den Unglauben, die Skepsis, der große Traum könnte eines Tages
wahr werden. Dennoch: er ist virulent. Und beseelt von ihm ist die junge
Protagonistin dieses Buchs, Schauspielerin in Hamburg, wo es naß und kalt ist,
eine, die auf der Bühne spielt, was ihr durch den Kopf geht, und auf den
Straßen erlebt, daß das Leben meistens anders ist: kein Theater jedenfalls.
Aber wo immer sie sich aufhält, wartet sie auf das eine, den Einen, auf das,
was ihr fehlt. Unablässig denkt sie: Es gibt doch auch die zwei, die sich so
lieben, daß sie von Anfang bis Ende auf des anderen Seite gehen. Und sieht
alles, was ihr begegnet, im Lichte dieser Vision, die sie zur Fremden macht
für die anderen - und doch auch zur Vertrauten, weil es niemanden gibt, dem
die Vision fremd ist. Wann kommt er endlich? Oder ist denn alles nur Kino?
Oder Theater? Oder doch möglich? In Hamburg, wo es naß und kalt ist? Die
Schauspielerin hat ein Happy-End - und weiß zugleich, daß der letzte Akt noch
immer nicht wirklich stimmt. Vision bleibt Vision. Ulla Berkéwicz wagt sich in
diesem Buch an ein schwieriges Thema, an einen Stoff, der unendlich oft schon
beschrieben, besungen und gespielt worden ist. Doch dadurch, daß sie Adam an
einem Ort ansiedelt, wo alles ohnehin nur Theater ist, wo Unter- und
übertreibung vornehmlich dazu dienen, einen Stoff schärfer zu konturieren und
damit plastischer und lebendiger zu machen, schafft sie eine Atmosphäre, in
dem das Unglaubliche, schwer zu sagende plötzlich glaubhaft und sagbar wird.
Es ist hier nichts irreal - die Stadt nicht, die Geschichten nicht, die in der
Stadt spielen, das Theater nicht, die Schauspielerin und ihre Kollegen nicht,
auf den die Protagonistin wartet, um mit ihm Adam zu sein. Mach dich auf und
mach dich glücklich. Du läßt den Mann, den du liebst auf die Maße eines
Fabelwesens anwachsen, gut, gut, die Bäume wachsen in den Himmel, die Sache
ist unendlich. Aber vergiß nicht, wahr ist nur die Harmonie, und obgleich dem
Anschein nach zwei, sind wir im Wesen eins, so wie das erste Paar ...
Viele sind aus dem Dorf in die Stadt gezogen. Zurückgeblieben sind die Alten,
die Frauen, die Kinder. Auch Michel ist fortgegangen; sie wartet auf seine
Rückkehr. Weil sie vergeblich wartet, macht sie sich auf den Weg in die nie
zuvor gesehene Stadt, um Michel zu suchen. Der Weg führt sie zu den Lebenden
und den Toten und zu den Aufständischen, mit denen Michel arbeitet; sie
bereiten den Untergang der Stadt vor. Sie träumen vorwärts, denn sie erträumen
eine neue Welt. Das Buch ist eine Liebesgeschichte, eine Parabel. Es ist ein
apokalyptisches Bild, aus dessen Trümmern das Neue erwächst. Es ist eine
Vision von Untergang und Rettung. Wo verläuft die Grenze zwischen Wirklichem
und Unwirklichem? Die traumsicheren Bilder fangen die Hoffnung ein.