Der Käse und die Würmer
Die Welt eines Müllers um 1600 Erweiterte Neuausgabe mit einem neuen Vorwort
Ein italienischer Historiker, dessen Forschungsinteressen von der italienischen Renaissance bis zur frühneuzeitlichen europäischen Geschichte reichen. Seine Beiträge erstrecken sich auch auf Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, populäre Kulturvorstellungen und die Theorie der Geschichtsschreibung. Er nähert sich der Geschichte mit einem scharfen Blick für die Vernetzung verschiedener Gebiete und erforscht die kulturellen und intellektuellen Kontexte, die Ereignisse prägen.
Die Welt eines Müllers um 1600 Erweiterte Neuausgabe mit einem neuen Vorwort
Kaum ein Historiker hat sich mit so vielen Personen beschäftigt wie Carlo Ginzburg: Aristoteles, Dante, Machiavelli, Diderot, Hegel, Heine, Flaubert, Tolstoi, Warburg, Proust, Picasso und viele andere. Vor allem aber ist Ginzburg berühmt für seinen speziellen Blick und seine Forschungsmethode, gehörte er doch zu den ersten Historikern, die sich mit der Kultur der sogenannten einfachen Leute befassten (siehe seine Bücher Hexensabbat und Der Käse und die Würmer). Und mittels der von ihm begründeten Mikrohistorie sucht er große geschichtliche Zusammenhänge aus der Betrachtung kleiner Details zu verstehen. In den Texten dieses Bandes lässt Ginzburg sein Forscherleben Revue passieren – er erklärt, wie er zu seinen Themen und seiner Betrachtungsweise kam und diese zum Teil über Jahrzehnte weiterentwickelte. Seine Rückschau wird zu einer persönlichen Selbstbefragung: Am Beispiel des Hexensabbat erzählt Ginzburg von den Märchenbüchern seiner Kindheit und von seiner Mutter Natalia. Und er fragt sich, ob es nicht auch seine eigene jüdische Familie und das Schicksal seines Vaters waren, die ihn immer wieder die Opfer von Verfolgung zum Gegenstand seiner Arbeit wählen ließen. Dieses Buch kann als Summe der Werke Carlo Ginzburgs gelesen werden und lädt zugleich dazu ein, einen der interessantesten Gelehrten unserer Zeit neu zu entdecken.
Über Nähe und Distanz
Was ist uns fremd, was nahe? In seinem Buch führt Carlo Ginzburg den Leser in ein weit angelegtes Wissenslabyrinth eigener und fremder Kulturen. Wer erinnert sich nicht an die berühmte Geschichte, in der der alte Gepetto aus einem zufällig gefundenen Stück Holz eine Puppe zu schnitzen beginnt, deren Augen ihn plötzlich lebendig und fragend anschauen? Es sind Pinocchios hölzerne Augen, die diesem Buch seinen Namen gaben. Und es ist ihr befremdeter Blick auf das menschliche Leben in Gegenwart und Geschichte, dem der Autor in neun spannenden Essays nachgeht. Carlo Ginzburg ist dafür aufgrund seiner eigenen Biografie bestens gerüstet: Seine jüdische Herkunft, das Aufwachsen im katholischen Italien und die langjährige Lehrtätigkeit in Amerika regten ihn zum Nachdenken über die vielfältige Tradition an, der er angehört, und lehrten ihn jene skeptische Distanz, die bekanntlich Blicke schärft.
Von Beginn seiner Forschungen an hat Ginzburg nach Auswegen aus dem Dilemma bloßer Gegenüberstellung von »Irrationalismus« und »Rationalismus« gesucht; seine Untersuchung über die »Spurensicherung« in der Wissenschaft ist dafür der sichtbarste (und folgenreichste) Beleg. Diese Spurensicherung beginnt im 19. Jahrhundert mit dem Kunsthistoriker Morelli, der nebensächliche Details erstmals für die Zuschreibung von Gemälden benutzt. Anschließend beschreibt Ginzburg die beiden entscheidenden neuen geschichtswissenschaftlichen Ansätze der neueren Zeit, die Schulen von Marc Bloch und Aby Warburg.
Carlo Ginzburg, einer der bedeutendsten italienischen Historiker der mittleren Generation, hat nach jahrzehntelanger Forschung die Geschichte der „Hexen“ neu geschrieben. Er untersucht das gesamte Phänomen in ganz neuen zeitlichen und räumlichen Dimensionen. Den Inquisitoren erzählten die der Hexerei Angeklagten immer wieder ähnliche Geschichten von nächtlichen Zusammenkünften an abgelegenen Orten, von Flügen auf Stöcken, Besen und Tieren oder von Verwandlungen in Tiere - alles Geständnisse, die das Sakrileg einer „Reise in die Welt der Toten“ preiszugeben scheinen. Aus diesen Elementen entstand schließlich das Stereotyp des Hexensabbat im 15. und 16. Jahrhundert, dessen Spuren Ginzburg in Volksbräuchen und in heidnischen Mythologien ausfindig macht: Der germanische Mythos vom „Wilden Heer“, die Gefolgschaft der griechischen Göttin Diana und die Vorstellung von baltischen Werwölfen und eurasischen Schamanen - diese weitverstreuten Abweichungsphänomene verbinden sich mit vielen anderen zu den berühmten „nächtlichen Geschichten“. Die äußerst spannende Darstellung zeigt die Grenzen der herkömmlichen Historiographie auf und legt gleichzeitig die anthropologischen Wurzeln des Erzählens frei.