Musikalische Analyse
- 90 Seiten
- 4 Lesestunden






Diether de la Mottes Buch ist zum Klassiker unter den Harmonielehren geworden. Es beleuchtet neun unterschiedliche musikgeschichtliche Situationen – von 1600 bis ins 20. Jahrhundert – und deren Harmoniesprache. Die historisch begrenzt gültigen Regeln werden aus einer Fülle von konkreten Beispielen abgeleitet. Zugleich wird deutlich, dass Harmonik immer ein bedeutendes Feld für kompositorische Phantasie war. Eine Musikgeschichte in Beispielen, verständlich geschrieben und unentbehrlich für alle, die nicht nur musizieren, sondern auch Musik verstehen, in Musik denken wollen. Der Autor: Diether de la Motte, 1928 in Bonn geboren, studierte in Detmold Komposition, Klavier und Dirigieren, war Dozent und Musikkritiker in Düsseldorf, Verlagslektor in Mainz, wurde 1964 Professor an der Hamburger Musikhochschule, 1982 in Hannover und von 1988 bis 1998 in Wien.
Jahrhunderte lang war es eine Selbstverständlichkeit, dass musikalisch talentierte Jugendliche komponieren lernten. Heute wird dieser Unterricht in die Hochschulen verdrängt und so zukünftigen Komponisten-Profis vorbehalten. Da bleibt manche Begabung und Schaffenslust unentdeckt, ja verschüttet. Diether de la Mottes Buch kann daher als Pioniertat bezeichnet werden: Der erfahrene Kompositionslehrer beschreibt Wege zum selbstständigen, phantasievollen Komponieren, ohne Stress und starre Regeln. Dabei geht de la Motte nicht als dozierender Lehrer und (Unter-)Richter, sondern als kollegialer Begleiter und Animateur mit dem Leser die ca. 300 Aufgaben an, vom einstimmigen Lied mit nur wenig Tonmaterial bis zum Komponieren eines kleinen Musiktheaterstücks. Ein „Schnupperkurs“ für Schüler ab der 10. Klasse, aber auch für Studenten, Lehrer und erwachsene Laien.
Drei selbständige, unabhängige Lehrgebäude sind es, die im „Kontrapunkt“ vorgestellt werden: Josquin, Bach, Neue Musik. Der Leser kann das Buch systematisch durcharbeiten von den ersten Höhepunkten der Polyphonie bei Perotin über Palestrina, Schütz, Bach, Haydn, Beethoven, Schumann, Brahms und Wagner bis zur Neuen Musik. Er hat aber auch die Möglichkeit, sich nach eigener Wahl der Gebiete und Reihenfolge Einblick in verschiedene Musiksprachen zu verschaffen und sich handwerklich zu schulen. Deshalb hat de la Motte vor die einzelnen Arbeitskapitel Lesekapitel gesetzt, die neben der theoretischen Reflexion der musikalischen Struktur den Blick auf die entsprechende Epoche richten und das historische Verständnis vertiefen. Wie seine „Harmonielehre“ ist dieses Buch Diether de la Mottes zum Klassiker geworden. Die Regeln des Kontrapunkts leitet Diether de la Motte unmittelbar aus der Analyse der einzelnen Werke ab, wobei er den zeitlichen Bogen von Josquin über Bach bis hin zur Neuen Musik spannt. Weit mehr als nur ein Lehrwerk, eröffnet das Buch vielfältige musikgeschichtliche, ästhetische und kompositionstechnische Einblicke. „Dies ist keine komprimierte Anweisung, die von Regel 1 bis zu Regel 487 führt. Es wird über Musik nachgedacht, wobei sich Beschreibung, Analyse, Interpretation, „Nachdenken über“ und satztechnische Anweisung zum Ganzen fügen.“ (Aus dem Vorwort)
Jede gute Formenlehre wird von der notwendigen Vielzahl ihrer Kapitel dazu gezwungen, sich auf die Bachfuge und die Beethovensonate zu konzentrieren. Früheres und Späteres kurz erläutert, ergibt sich somit ein geradliniger Entwicklungsweg. Hier dagegen die Zusammenschau einer unübersehbaren Vielfalt von Formgestaltungseinfällen. Zehn Sonatensätze von Haydn und Mozart aus demselben Jahrzehnt sind äußerst unterschiedlich geformt! Wie viele verschiedene Möglichkeiten findet Johann Crüger, sich in seinen Choral-Melodien vom Text inspirieren zu lassen oder eigenen Gestaltungswillen gegen ihn durchzusetzen! Wieviel an Einfall und Originalität kann sogar (im engsten Gefängnis) vom Kanon-Komponisten riskiert werden! "Nichts muß 'normal' sein, damit ein Kunstwerk gut 'in Form' ist, es muß nur alles zueinander stimmen", so heißt es im Vorwort dieses Buches, das bis zu 1996 geschaffener Klangkunst führt. Diether de la Motte fordert die Leser auf, den unendlichen Reichtum an Formbildungskräften zu erkennen, ihm nachzuspüren und für sich nachzuvollziehen, was die musikalisch-gestaltende Phantasie an bewundernswert je Einmaligem geschaffen hat.