Diese Erzählung nahm ihren Ausgang bei Gesprächen mit Veteranen der Fremdenlegion, von denen eines ausführlicher war. Dabei fiel mir etwas Gemeinsames in den von Schuldgefühlen weitgehend unbelasteten Schilderungen auf: Die Erinnerungen an Orte und Menschen waren eher schattenhaft, während bestimmte Situationen der Gefahr oder auch nur Bedrängnis in aller Deutlichkeit und mit überraschenden, manchmal unwichtig scheinenden Details aufbewahrt waren. So öffnete sich in den Gesprächen zwar der Blick zurück auf die Orte des Geschehens, allerdings standen jene Einzelheiten einer freien Sicht im Wege. Es war, als hätte sich die Erinnerung darin so konzentriert, daß für den Rest nicht mehr genügend Farben übrig blieben. Meiner Ansicht nach ist daraus herauszulesen, was die Schilderungen oft schmerzlich vermissen ließen, nämlich die Spur des Individuellen, des eigenen Empfindens bezüglich der Taten und Untaten. Es zeigt sich, vor allem in moralischer Hinsicht, nie eindeutig, bleibt vielmehr undeutlich und auch gefiltert - aber es ist da. In der Erzählung habe ich versucht, dies mit abzubilden, indem ich den Details Raum gab und nichts dafür tat, in jeder Hinsicht ferne Orte und Menschen aus der Schattenhaftigkeit, mit der die Erinnerung sie belegt hatte, in ein künstliches Licht zu überführen. END
Sherko Fatah Bücher
Sherko Fatahs Werk befasst sich mit Themen wie Identität, Entfremdung und der Suche nach Zugehörigkeit. Seine Prosa, geprägt von einem multikulturellen Hintergrund, erforscht oft die komplexen Verbindungen zwischen unterschiedlichen Kulturen und Welten. Mit seiner scharfsinnigen Sprache und melancholischen Atmosphäre zieht Fatah den Leser in tiefgründige existenzielle Reflexionen. Sein Schreiben basiert auf scharfen Beobachtungen der menschlichen Psyche und der ständigen Suche nach einem Platz in der Welt.






Ein weißes Land
- 477 Seiten
- 17 Lesestunden
In den 1930er Jahren in Bagdad träumt der junge Araber Anwar von schönen Häusern, fernen Reisen und der Schwester seines jüdischen Freundes. Er möchte ein „Jemand“ werden, doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bringt ihn in Kontakt mit der faschistischen Jugendorganisation der „Schwarzhemden“. So beginnt ein bitteres Märchen, das Anwar durch die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führt. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, ist er den Tagelöhnern fremd, ebenso wie den Palästen der Reichen. Seine Träume von Glück und die Anziehungskraft der Cafés mit unverschleierten Frauen und Zigarettenrauch ziehen ihn unwiderstehlich an. Mit dem Krieg scheint sich sein Traum zu erfüllen, als er 1941 im Gefolge des Großmuftis von Jerusalem nach Berlin gelangt, einem Verbündeten der Nationalsozialisten. Sherko Fatah entwirft ein episches geschichtliches Panorama, in dem Anwar ins Zentrum der neuen Macht gerät und sich im Labyrinth der Geschichte und des Krieges verliert. Er überlebt, doch am Ende steht er vor den Trümmern seines Traumes und eines halben Jahrhunderts.
Das Dunkle Schiff
- 440 Seiten
- 16 Lesestunden
Das Buch erzählt die Geschichte des jungen Kerim, von Beruf Koch, der sich aus dem irakischen Grenzland auf die beschwerliche und gefährliche Reise nach Europa macht. Von früh an der Idee verfallen, sich zu verwandeln, hat er noch andere Gründe für seine Flucht, war er doch unter die Gotteskrieger geraten und mit ihnen durch das Land gezogen, bevor er sich von ihrem Weg der Gewalt lossagte. Kerim, bemüht, in Deutschland ein neues Leben zu beginnen, kann, obwohl er in dem fremden Land auch Zuwendung und sogar seine erste Liebe findet, die Vergangenheit nicht abschütteln, vielmehr scheint diese sich fortwährend auf ihn zuzubewegen. In diesem Roman geht es nicht um den Islam, sondern um den Extremismus, der viele Erscheinungsformen haben kann, um seine Verführungsmacht und die Folgen. Extremismus entsteht nicht in einem Kopf, sondern unter realen Lebensbedingungen. So ist Kerims Geschichte die eines kleinen, konkreten Lebens inmitten großer Umwälzungen, und sein spirituelles wie auch seine realen Abenteuer sind nicht so außergewöhnlich, wie sie aus europäischer Sicht scheinen mögen. Viele haben sich wie er auf den Weg gemacht, viele sind auch wie er verstrickt worden, wenn schon nicht immer aus nachvollziehbaren Gründen, so zumindest doch auf eine Weise, welche auch die besten Nachrichtenbilder uns nicht zeigen können.
Ausgezeichnet mit dem „aspekte“-Literaturpreis für das beste Prosadebüt 2001 Eine verminte Grenze, die Familien trennt, Liebende auseinanderreißt, Menschen zerstört. Aus dem kurdischen Niemandsland zwischen Iran, Irak und Türkei, in dem die Geschichte spielt, kam auch der Vater von Sherko Fatah, der literarischen Entdeckung des Jahres 2001. In seinem von der Kritik hymnisch gelobten Debüt erzählt er die Geschichte eines Grenzgängers. Der Mann ohne Namen arbeitet als Schmuggler im verminten Gelände. Er hat einen Pakt mit den Minen geschlossen: Solange er sie nicht verrät, verraten sie auch ihn nicht. Doch als sein Sohn verschwindet, ist auf einmal alles anders. Aus Liebe macht er sich auf die Suche nach ihm - ein gefährliches Unterfangen.
Der letzte Ort
- 283 Seiten
- 10 Lesestunden
Ein literarischer Thriller über Freundschaft und Verrat. Die Welt des deutschen Aussteigers Albert ist seit seiner Entführung im Irak auf den schmalen Raum zwischen den Holzlatten seines Verschlags beschränkt. Gefesselt und von Fliegen umschwirrt, fühlt er die Angst, in einem Stall zu sterben, getrennt von seinem Übersetzer Osama, der ihm als Brücke in die fremde Kultur dient. Osama, ein Einheimischer aus einer liberalen Familie, wird in der Gefangenschaft zu einem Freund. Unter dem Druck ihrer Entführer, die sie mal getrennt, mal zusammen schleppen, beginnen sie, über den kulturellen Hass und ihre eigenen Leben zu sprechen. Albert erkennt, wie wenig Osama, der den Krieg in seinem Land erlebt hat und als Verräter gefangen gehalten wird, mit seinen Geschichten anfangen kann. Doch das Reden wird zu ihrem einzigen Halt an einem Ort, an dem das Leben der anderen unberührt weitergeht. Sherko Fatah erzählt die Entführung als packenden Thriller und sensibles Psychogramm. In ihrer aussichtslosen Situation stoßen beide an ihre Grenzen und verlieren sich in Angst und Misstrauen. Nach ihrer Flucht ist zwischen ihnen nichts mehr wie zuvor.
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2023: Feinfühlig und scharfsinnig erzählt Sherko Fatah eine erschütternde Vater-Tochter-Geschichte vor dem Hintergrund der Konflikte im Nahen Osten. Eine Tochter verschwindet. Sie ist aufgebrochen, um sich in Syrien mit einem Glaubenskrieger zu verheiraten, den sie im Internet kennengelernt hat. Zurück bleibt ein Vater, der sich Vorwürfe macht. Hätte Murad seiner Tochter Naima nur mehr von seinem Herkunftsland erzählt, von dem er sich hier in Deutschland endlich gelöst hat. Hätte er ihren Fremdheitsgefühlen nur mehr Beachtung geschenkt. Vielleicht wäre sie dann nicht im Namen der Religion in eine Welt heimgekehrt, die ihr vollkommen unvertraut ist. Murad sieht nur eine Lösung: Er muss Naima finden. Und so nimmt er Kontakt zu Schleusern auf, reist in das Kurdengebiet an der türkisch-syrischen Grenze und stellt sich dabei auch seiner eigenen Vergangenheit. Als ihm die Schleuser ein Audiotagebuch präsentieren, das von einer Frau in Rakka aufgenommen wurde, mit großer Wahrscheinlichkeit Naima, entscheidet Murad, die gefährliche Reise in das Herrschaftsgebiet des Islamischen Staates auf sich zu nehmen …
Der große Wunsch
Roman - Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2023
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2023 Was tun, wenn die eigene Tochter nach Syrien reist, um einen Glaubenskrieger zu heiraten? – »Einer der politisch hellsichtigsten deutschen Schriftsteller.« DIE ZEIT Feinfühlig und scharfsinnig erzählt Sherko Fatah eine erschütternde Vater-Tochter-Geschichte vor dem Hintergrund der Konflikte im Nahen Osten, die auch das heutige Westeuropa längst erreicht haben. Eine Tochter verschwindet. Sie ist aufgebrochen, um sich in Syrien mit einem Glaubenskrieger zu verheiraten, den sie im Internet kennengelernt hat. Zurück bleibt ein Vater, der sich Vorwürfe macht. Hätte Murad seiner Tochter Naima nur mehr von seinem Herkunftsland erzählt, von dem er sich hier in Deutschland endlich gelöst hat. Hätte er ihren Fremdheitsgefühlen nur mehr Beachtung geschenkt. Vielleicht wäre sie dann nicht im Namen der Religion in eine Welt heimgekehrt, die ihr vollkommen unvertraut ist. Murad sieht nur eine Lösung: Er muss Naima finden. Und so nimmt er Kontakt zu Schleusern auf, reist in das Kurdengebiet an der türkisch-syrischen Grenze und stellt sich dabei auch seiner eigenen Vergangenheit. Als ihm die Schleuser ein Audiotagebuch präsentieren, das von einer Frau in Rakka aufgenommen wurde, mit großer Wahrscheinlichkeit Naima, entscheidet Murad, die gefährliche Reise in das Herrschaftsgebiet des Islamischen Staates auf sich zu nehmen …
Diese Anthologie versammelt Texte von Autoren, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind und jetzt hier im Exil leben. Einige kamen mit einem Stipendium, andere aufgrund von Arbeitsverträgen, einige haben ein Asylverfahren durchlaufen, andere stecken noch mittendrin. Darum sind es Texte aus Deutschland – Gedichte, Kurzgeschichten oder Erzählungen, die zu diesem Land gehören, genauso wie die Schriftsteller und die Flüchtlinge, die jetzt hier leben. Die Autoren erzählen von ihrer Heimat, dem Alltag, den sie verlassen haben, von Flucht, von Vereinsamung, von einer Existenz in einem fremden Land mit einer fremden Kultur, die ihnen oft auch feindselig begegnet, von Verzweiflung, von Rettung und von neuer Verzweiflung. Ihre Geschichten sind in ihren Heimatländern häufig verboten gewesen und nicht veröffentlicht worden. Hierzulande kennt man ihre Geschichten bislang nicht, weil die Sprachbarriere ihnen ihre Stimme genommen hat. Diese Anthologie stellt Fragen – wer sind die Geflüchteten und warum sind sie gekommen? –, anders als es Journalisten tun. Literatur gibt andere Antworten, sie lässt uns teilhaben an etwas, was wir selber sind, ohne uns dessen bewusst zu sein. Diese Anthologie ist ein Beispiel dafür, auf wie vielfältige formale und inhaltliche Weise uns Literatur mit Welten, mit Sichtweisen und mit uns selbst vertraut machen kann.
Am Beginn steht die Ermordung eines Schwans an einem Heiligen Abend in einer deutschen Stadt. Aber auch was dann erzählt wird, ist gezeichnet von den Spuren der Gewalt: die Geschichte einer Reise in den Norden des Irak um die Mitte der neunziger Jahre. Der, der sich zusammen mit einem Freund dorthin aufmacht, hat zuvor die Bekanntschaft eines älteren Mannes gemacht, den alle 'Onkelchen' nennen und der von dort stammt und nun bei illegalen Flüchtlingen in Deutschland Unterschlupf gefunden hat. Seine neue Außenwelt bleibt ihm völlig fremd: er verstummt und behält so seine Geschichte für sich. Der versucht der Erzähler auf seiner Reise in das Land, das wiederum ihm völlig fremd bleibt, auf die Spur zu kommen: er erfährt davon wenig genug, dafür aber etwas über eine bizarr brutalisierte Gesellschaft und seine eigenen Grenzen des Verstehens. Was Menschen zustößt, die das Leid wirklich erfahren haben, scheint nicht zu vermitteln; ihr Los ist eine Stummheit in dieser schwatzenden Welt, durch die sie, meist absichtslos, noch einmal zu Opfern gemacht werden. Die atmosphärische Dichte dieses Romans ist zeitweise beklemmend, seine Imaginationskraft außerordentlich. Sherko Fatah hat ein Buch geschrieben, das seine erzählerische Distanz nutzt, um dem Erklären und Verstehen von Verletzung und Leid ein wenig näher zu kommen.
Die Fremden sind wir
Für eine Literatur in Bewegung
Das Schreiben von Literatur steht in der heutigen Zeit nicht mehr nur unter dem ewigen Anachronismusverdacht oder dem guten alten moralisch-politischen Druck auf Autorinnen und Autoren. Unversehens findet man sich schreibend heute in Debatten geraten, die scheinbar nichts zu tun haben mit dem doch immer sehr persönlichen, eigentlichen Antrieb zum Schreiben. Sherko Fatahs erste Vorlesung handelt davon, wie in einem jungen Leser die Sehnsucht nach einer literarischen Welt entstand, die nicht nur größer, sondern tatsächlich auch unvertrauter ist. Die sich daran anschließende Frage nach dem Fremden und seiner sehr unterschiedlichen Gestaltung in der Literatur überhaupt wird in der zweiten Vorlesung behandelt. In der dritten geht es um die kulturelle Aneignung, allerdings im positiven Sinn als Ausgangspunkt literarischer Gestaltung. Sherko Fatah entwickelt entlang dieser Route sein Ideal einer »Literatur in Bewegung«, die sich nicht nur über ihre vertrauten Bedingungen und Themen hinauswagt, sondern sich als bewusste Rekonstruktion einer unverlierbaren »kulturellen wie politischen« Fremdheit in der Welt begreift und reflektiert.



