Essays und historische Studien zum Nationalsozialismus
Der Band versammelt Essays zu Hannah Arendt, H. G. Adler, David Rousset und anderen sowie historische Studien zur deutschen Besatzung in Frankreich, zur Rolle Ernst Jüngers in Paris und eine Fallgeschichte über mangelnde Aufklärung von NS-Verbrechen in der alten Bundesrepublik.
Ahlrich Meyer untersucht die Judenverfolgung in den drei westeuropäischen Ländern, die während des Zweiten Weltkriegs besetzt waren, und beleuchtet, was die deutschen Täter und die Opfer über die Deportationen in die Vernichtungslager wussten. Die zentrale Fragestellung betrifft das Wissen der Täter über Auschwitz und das, was die deportierten Juden ahnten oder wussten. Diese Themen waren nach dem Krieg Gegenstand zahlreicher Gerichtsprozesse und stehen im Zusammenhang mit Verantwortung und Schuld, was Rückschlüsse auf die Organisation des Massenverbrechens zulässt. Es zeigt sich, dass nicht alle deutschen Akteure über die Dimension des Vernichtungsprogramms informiert waren, insbesondere jene, die an der „Endlösung“ in Westeuropa mitwirkten. Auch die Annahme, dass die Juden wissentlich in den Tod gingen, erweist sich als unhaltbar. Im ersten Teil werden Vernehmungsaussagen von Angehörigen der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich, Belgien und den Niederlanden herangezogen, wobei viele von ihnen behaupten, nichts über Auschwitz gewusst zu haben. Dennoch gibt es Zeugen, die Kenntnis vom Judenmord einräumen. Der zweite Teil präsentiert neu gefundene Berichte von Holocaust-Überlebenden, und die vergleichende Analyse zeigt, was die Täter wussten, was sie den Opfern über die Deportationen mitteilten und welche Gerüchte unter den Juden kursierten.
Ahlrich Meyer präsentiert eine neue Analyse der ›Endlösung der Judenfrage‹ in Frankreich und identifiziert die verantwortlichen Akteure. Er nutzt Originaldokumente aus französischen und deutschen Archiven und wertet erstmals protokollierte Verhöre von Tätern und Helfern aus der frühen Nachkriegszeit sowie den sechziger und siebziger Jahren aus. Die historischen Ereignisse werden mit den Selbstrechtfertigungen der Täter kontrastiert. Der Autor untersucht, wie sich die Beteiligten nach 1945 selbst entlasten wollten und warum niemand Verantwortung übernahm. Zudem wird die Frage aufgeworfen, weshalb das Wissen um die Massenvernichtung nicht anerkannt wurde. Meyer kommt zu dem Schluss, dass viele Entlastungsstrategien nicht nur auf Lügen basieren, sondern in den Ereignissen selbst verwurzelt sind. Die Arbeitsteilung zwischen Militärverwaltung und SS, die Delegation der Verfolgung an die französische Polizei, die geographische Distanz zu den Mordstätten und die Unglaublichkeit des Judenmords führten zu einem mangelnden Unrechtsbewusstsein der Täter. Im Austausch zwischen den Beschuldigten und der westdeutschen Justiz entwickelten sich Muster kollektiver ›Vergangenheitsbewältigung‹, wodurch das Buch auch ein Portrait der deutschen Nachkriegsmentalität im Umgang mit den NS-Verbrechen zeichnet.
Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung waren während der deutschen Besatzungszeit in Frankreich untrennbar miteinander verbunden. Entgegen dem weit verbreiteten Bild vom „sauberen Krieg“ im Westen radikalisierte sich die Besatzungsherrschaft bei zunehmender Dauer des Krieges. Ahlrich Meyer zeichnet anhand bisher zum Teil unausgewerteten Archivmaterials detailliert die Entwicklung von der Kollaboration bis zum brutalen Terror nach und ermöglicht so eine umfassende Neubewertung und Einschätzung dieses Abschnittes der deutsch-französischen Geschichte.