Jiří Kolář
Jiří Kolář (* 24. September 1914 in Protivín; † 11. August 2002 in Prag) war ein tschechischer Dichter, bildender Künstler und politischer Aktivist.
Jiří Kolář lebte die meiste Zeit in Kladno. 1932 beendete er seine Lehre als Tischler und arbeitete anschließend als Bäckergehilfe, Nachtwächter, Kellner und danach in Prag als Redakteur im Verlag Dílo. Er fertigte seine ersten Collagen 1934, die 1937 in der Prager Galerie D37 und 1938 im Mozarteum ausgestellt wurden. Fast parallel wendete er sich mit der Unterstützung František Halas der Literatur zu. Es entstehen erste Gedichte (Křestní list/Taufschein, Praha 1941) und Übersetzungen aus der Weltliteratur wie T.S. Eliots „Waste Land“ sowie Werke von Carl Sandburg und zusammen mit dem Kunsttheoretiker Jiří Kotalík Edgar Lee Masters. 1942 war er Mitbegründer der Skupina 42, zu der auch der Kunsttheoretiker Jindřich Chalupecký und der Schriftsteller Bohumil Hrabal gehörten. Die rot beleuchteten Stahlhütten in Kladno und die großstädtische Zivilisation in Prag, die die Beziehung zwischen Kunst und Leben widerspiegelten, waren ebenfalls Themata der Gruppen-Mitglieder. Kolář stellte in dem Werk „Věže a sloupy“(Türme und Säulen) in einer Collage 1946 dar. Er verehrte den Philosophen Ladislav Klíma, dem er einige Werke widmete, so die Collage „Pro Ladislava Klímu“. Er trat 1945 der Kommunistischen Partei bei, um sie im August wieder zu verlassen. Diese politischen Erfahrungen prägten ihn nachträglich und ließen ihn immer sehr kritisch mit politischen Verhältnissen umgehen. Kolář zog danach nach Prag um und war überwiegend als freischaffender Künstler tätig. Schon früh zeigte er sich inspiriert vom Surrealismus Max Ernsts und Dadaismus von Kurt Schwitters, aber auch vom Poetismus und der tschechischen Moderne. Er beschäftigte sich mit Jindřich Štyrský, Toyen und Karel Teige. Von 1946 bis 1947 reiste Jiří Kolář durch das kriegszerstörte Deutschland nach Frankreich. In Paris besuchte er in der Galerie „La Boëtie“ die Ausstellung „Die Kunst der Tschechoslowakei 1938 bis 1946“. Danach unternahm er 1948 Reisen nach England und nach Schottland. Im Jahre 1949 heiratete er Běla Helclová, die er schon 1944 in Zlín kennengelernt hatte. Als Běla Kolářová wurde sie später eine bekannte Künstlerin und Fotografin. 1952 bis 1953 wurde er aufgrund seiner Schrift „Prometheova játra“ (Die Leber des Prometheus) inhaftiert. Mitte der 1950er Jahre traf sich Jiří Kolář im Café Slavia in Prag täglich mit Künstlerfreunden und Intellektuellen wie Josef Hiršal, Kamil Lhoták, Ladislav Novák, Zdeněk Urbánek, Václav Havel, František Muzika und Jindřich Chalupecký. Bei Treffen im Cafe Slavia wurde Kolář zum Mentor für zahlreiche jüngere Kollegen. 1963 wurde er juristisch rehabilitiert und war mit seiner Ehefrau Mitbegründer der Gruppe „Křižovatka“ (Kreuzung). Nachdem Kolář in den 1950er Jahren überwiegend schriftstellerisch tätig gewesen war, fing er um 1959 an, sich der Konkreten Poesie zuzuwenden und sich vermehrt visuell-bildnerisch auszudrücken. Er tauschte das Medium Wort mit dem Medium Bild. Analog zu seinen bisherigen literarischen Techniken entwarf er 1952 nun Collagen wie die Konfrontagen „Dvě nitra“ (Zwei Seelen), aber auch Rapportagen wie „Krásný hon“ (Schöne Jagd) und Antianatomien wie „Kravička a housle“ (Kleine Kuh und Geige). 1958 schuf er seine Gefundene Collage „Co starého v Evropě“ (Was Altes ist in Europa). Viele weitere Varianten seiner sogenannten Evidenten Poesie führte Kolář in seinem Methodischen Wörterbuch (Slovník metod) auf. So auch Rollagen wie „Božena Němcová“ von 1959, Kreisrollagen („Spící Venuše“/Schlafende Venus von 1964), Typoskripte (Fontana, 1961), Analphabetogramme („Analfabetogram Kresba“von 1962), Knoten- („Uzlová báseň“/Knotengedicht, Assemblage 1963), Loch-, Tiefen-, Farben- („Barevná báseň“/Farbengedicht, 1962), Noten- und Schilderpoesie sowie Spuren-, Blinden-, Brief-, Hänge- und Rasierklingengedichte. Während der Zusammenarbeit mit dem Fotografen Václav Chochola, über den Kolář 1961 eine Monografie verfasste, entstanden 1960 bis 1961 20 Rollagen aber auch Prollagen mit Werken V. Chocholas. Nach 1962 entwickelte er seine Collagetechniken weiter wie durch Magrittagen, Chiasmagen 1965 („Spirála“/Spirale, 1965), Relief-Chiasmagen („Pocta Delaunayovi“/Hommage à Delaunay, 1965), Muchlagen so auch Grumblagen („Snící katedrála“/Träumende Kathedrale, 1964), Decollagen, Ventillagen, auch flatternde Collagen und Objektcollagen („Na počátku bylo slovo“/Am Anfang war das Wort, 1969). 1965 besuchte Helmut Heißenbüttel das Atelier Kolářs in Prag. Es entstand der Kontakt zur Stuttgarter Gruppe/Schule. Bei dieser Künstlergruppe wurde er internationales Mitglied. Er konzipierte anschließend multiplizierte Rollagen („Zvěstování“/Verkündigung von 1966) und narrative Zipp-Collagen („Vzpomínající leporelo“/Erinnerndes Leporello, um 1965). Als Mahnung an die deutschen Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg sind seine Haarcollagen von 1963 zu verstehen. Daneben entsteht der Komplex der sogenannten destatischen Gedichte („Návod k použití“/Gebrauchsanweisung). 1967 befasste er sich mit den Mec-Arten, die in Osaka ausgestellt wurden. Während des Prager Frühlings dokumentierte er in dem „Tagebuch 1968“ einen Zyklus von ursprünglich 67, heute 66 Collagen, die im Neuen Museum in Nürnberg aufbewahrt werden. Kolářs Collage-Tagebücher sind Wochenbücher. Nur 1968 hatte er aufgrund der politischen Ereignisse in der ČSSR mitunter mehrere Collagen täglich angefertigt, viele davon mehrlagig, wie die „Collage vom 23. August 1968“. Dieses Tagebuch ist Kolářs politischer Kommentar zu den politischen Verhältnissen in der ČSSR. Im selben Jahr gelang Jiří Kolář der internationale Durchbruch. Er stellte vielbeachtet auf der documenta 4 in Kassel und im Museum für moderne Kunst in Nürnberg aus. Er wurde Mitglied im Koordinationskomitee der tschechoslowakischen Künstlerverbände. 1969 reiste er nach Brasilien und wurde auf der X. Biennale in São Paulo mit einem Preis ausgezeichnet. 1970 erlitt Kolář einen Schlaganfall und konnte über ein Jahr lang seine rechte Hand nicht bewegen. 1972 entsteht der Zyklus „Hommage à Baudelaire“. 1977 unterzeichnete er die Charta 77 und erhielt in der ČSSR ein Arbeitsverbot. An der Documenta 6 im Jahr 1977 nahm er in Kassel teil. 1979 war er ein Jahr lang Gast des DAAD in Berlin. In dieser Zeit besuchte er Paris. Nachdem sein Stipendium nicht verlängert worden war, blieb er ohne Genehmigung der ČSSR-Behörden in Frankreich. 1981 gründete er in Paris die Zeitschrift „Revue Kolář“ und arbeitete nun mit der Galerie Maeght-Lelong zusammen. In dieser Zeit entstanden unzählige Werke, in denen er sich selbst zitierte. Jiří Kolář wurde 1982 in Abwesenheit zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt und auch in Abwesenheit ausgebürgert; sein Besitz wie auch seine bedeutende Kunstsammlung wurden beschlagnahmt. Seine Frau Běla durfte zwei Jahre lang die ČSSR nicht verlassen. In Frankreich erhielt er 1984 die französische Staatsbürgerschaft. Nach der Samtenen Revolution 1989 nahm Kolář wieder am Kulturleben in Tschechien teil. 1990 initiierte er mit Václav Havel und Theodor Pištěk den Jindřich Chalupecký-Preis. 1997 kehrte Jiří Kolář nach Tschechien zurück und verstarb nach langer schwerer Krankheit in Prag. Jiří Kolář wurde in einem Familiengrab auf dem Friedhof Vinohrady in Prag beigesetzt. Nach ihm wurde der Jiří-Kolář-Preis für bedeutende Schriftsteller benannt.