Ausgewählt!
- 95 Seiten
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Materialien für eine "andere Kunst" nach 1945
Auch nach einem halben Jahrhundert ranken sich Mythen und Geheimnisse um die Farb- und Materialmischungen in Jean Dubuffets Arbeiten der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ihre Undurchschaubarkeit verstellte bis heute die Analyse des Phänomens. Mechthild Haas wertet die Atelierhefte des Künstlers aus und gewinnt so neue Erkenntnisse über die in den Nachkriegsjahren verwendeten Substanzen und Verarbeitungstechniken. Zentral wird das Verhältnis von künstlerischem Programm einer sinnlichen Kunst und künstlerischer Praxis. Am Beispiel Dubuffet untersucht die Autorin, welche künstlerischen Energien das Ende des Zweiten Weltkriegs freisetzte und inwiefern dieses historische Datum die Künste einschneidend veränderte. In einem Anhang werden wichtige Passagen aus Dubuffets Atelierheften der 40er und 50er Jahre erstmals publiziert.
Der Künstler Alfred Nungesser (1903–1983) hat eine bislang weitgehend unentdeckte und unpublizierte Seite: Im Jahr 1930 fertigte er in Berlin rund 100 Collagen aus Illustrierten, die einzigartige zivilisationskritische Dokumente zum Leben in der industrialisierten Großstadt bilden. Der Künstler türmt Versatzstücke zu gigantischen Aufbauten, in denen Übermacht und Magie der Großstadt zum Himmel wachsen. Personengruppen werden nach geometrischen Formen angeordnet, womit Nungesser die Auswirkungen industrieller Strukturen auf Leben und Rhythmus der Menschen thematisiert. Er entlarvt die politische Propaganda, die die Bevölkerung zur gleichgeschalteten Masse macht. Nungessers perfekt collagierte Panoramen entfalten hintersinnige Kommentare auf die Metaphern der Metropole. Stilistisch sind die Arbeiten eine Mischung aus den avantgardistischen Strömungen der damaligen Zeit: Sie vereinigen Expressionismus und Surrealismus, dadaistische Elemente sowie Neue Sachlichkeit.