»Überzeugung und Rhetorik«, entstanden in den Jahren 1909/1910 und posthum veröffentlicht, ist eine Doktorarbeit, doch »sicher eine der merkwürdigsten und eigenwilligsten, die je geschrieben worden sind« (J. Ranke). Statt einer wissenschaftlichen Abhandlung bietet dieser Text ein provozierendes Bekenntnis und Programm. »Rhetorik« ist der Schlüsselbegriff in einer radikalen Zeitkritik. Der jugendliche Verfasser richtet seinen unversöhnlichen Blick auf die gesellschaftlichen Institutionen, den Zustand der Sprache, vor allem aber auf das wissenschaftliche Denken und seine Funktion im modernen Leben. Unter dem Stichwort »Überzeugung« versucht er dagegen, sich eines Denkens »diesseits« von Metaphysik und Wissenschaft zu erinnern. Dafür stehen ihm Sokrates und Christus ein, die griechischen Tragiker und die vorsokratischen Philosophen. In ihrem Zeichen entwirft er eine Philosophie von höchstem ethischen Anspruch. Der im Grenzgebiet zwischen Philosophie und Literatur angesiedelte Text ist bis heute Gegenstand kontroverser Deutungen.
Carlo Michelstaedter Reihenfolge der Bücher
Carlo Michelstaedter, ein italienischer Philosoph und Literat, ist für seine tiefgründigen Untersuchungen zur Natur des Lebens und der Überzeugung bekannt. Seine Gedanken scheinen sich plötzlich geformt zu haben, ein Spiegelbild seines kurzen, aber intensiven Daseins. Michelstaedter betrachtete das gewöhnliche Leben als eine Illusion, ein Konstrukt, das vom „Gott der Lust“ aufrechterhalten wird und oberflächliche Begierden und trügerische Ergebnisse verschleiert. Er sah die soziale Existenz als durch Rhetorik und Konventionen definiert, die den Einzelnen sowohl von der Natur als auch von seinem wahren Selbst entfremden. Echte Befreiung und Selbstbeherrschung, „Überzeugung“ genannt, können nur erreicht werden, indem man im gegenwärtigen Moment lebt, als wäre jeder Augenblick der letzte. Resignation und Anpassung an die Welt stellten für ihn den wahren Tod dar.

- 1999