Im Widerstand gegen den Zeitgeist
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Motiviert durch die rechtsstaatsfeindlichen Aktivitäten der sog. „Achtundsechziger“ an der Hamburger Universität, entschließt sich der Slawist Kratzel zu außeruniversitärer politischer Vortragstätigkeit. Die rätestaatlichen Utopien der Linksradikalen, ihre extrem sowjetophile Haltung, zeigen dem Osteuropawissenschaftler die Notwendigkeit, dem Zeitgeist zuwiderhandelnd ein auch heute noch krampfhaft verdrängtes Thema in die außeruniversitäre Öffentlichkeit zu tragen: die Analyse der sowjetischen Tyrannis. Qualifiziert ist der Verfasser für diese Aufgabe nicht nur theoretisch durch sein Lehrfach. Vielmehr hatte er im Verlaufe mehrerer NS-Prozesse der 70er und 80er Jahre als Dolmetscher bundesdeutscher Justizdelegationen wiederholt Gelegenheit, aufschlussreiche Einblicke in das dem privaten Westler damals unzugängliche Hinterland der Sowjetunion zu nehmen, mit den Menschen zu sprechen und ihr Alltagsleben zu beobachten. Die zentrale Aufgabe seiner Vorträge und Referate sah der Autor aber aus fachlichen Gründen vor allem darin, einer größeren Öffentlichkeit aktuelle sowjetologische Forschungsergebnisse - historische, politikwissenschaftliche, ökonomische, philosophische und nicht zuletzt rechtstheoretische - zu vermitteln, um so bei aller Analyse eine möglichst synthetische Antwort auf die Frage nach dem totalitären Profil von Sowjetstaat und Sowjetgesellschaft zu geben. Die Systemgenese geht auch auf die präbolschewistische Entwicklung ein, die durch jenen einzigartigen geistesgeschichtlichen Aufschaukelungseffekt im Russland des 19. Jahrhunderts charakterisiert ist, der die totalitäre Katastrophe fast unabwendbar machte. Zu den zentralen Themen der Systemanalyse gehört die Verfassungs- und insbesondere die Grundrechtsproblematik sowie das Verhältnis des Sowjetstaates zu Religion und Kirche. Hier treten die ideologisch verankerten strukturellen Vergewaltigungsmechanismen wohl am erschütterndsten zutage. Eingehend analysiert der Autor Ursprung, Zielsetzung und Verlauf, aber auch die Gründe des unausweichlichen Scheiterns der mit dem Namen Gorbatschows verbundenen „Perestrojka“. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die im Westen verdrängten Stimmen der sowjetischen Elite zur Umgestaltungsproblematik. Nicht weniger aufschlussreich für die Religionswissenschaft dürfte der vom Verfasser dokumentierte letzte Erkenntnisstand des sog. „wissenschaftlichen Atheismus“ sein, wie er sich unmittelbar vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion darbot. Bezeichnend für den hiesigen Zeitgeist die vom Verfasser aufgedeckten, von hartnäckigem Glauben an die Reformierbarkeit des bolschewistischen Systems inspirierten westlichen Manipulationen an Gorbatschow-Texten. Beunruhigend und aufrüttelnd zugleich des Verfassers provokante These von der gesamteuropäischen Bedeutung des sowjetischen Dramas als eines zutiefst geistigen Geschehens. Galt die Verbreitung der hier vorgelegten Daten und Analysen während des „Kalten Krieges“ fälschlich (denn die Sowjets lehnten „ideologische Koexistenz“ ab!) als koexistenzgefährdender „Antikommunismus“, so gelten sie heute ebenso fälschlich als „nicht mehr aktuell“. Indessen ist ihre Kenntnis völlig unverzichtbare Voraussetzung nüchterner Urteilsbildung über die postsowjetischen Vorgänge, über die mentale Prägung der dortigen Bevölkerung, vor allem der Eliten und einer realistischen Gestaltung westlicher Außen-, Sicherheits- und Europapolitik.