Körper der Nation
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Der Körper der Menschen unterliegt nicht nur den Gesetzen seiner Physiognomie, er ist auch der Geschichte ausgesetzt. Svenja Goltermann greift diesen Zusammenhang auf und analysiert den deutschen Nationalismus unter Einbeziehung des Körpers. Wie konnte die Nation verkörpert und sinnlich erlebt werden? Wie konnte sie zu einem Teil der eigenen Identität werden? Wie entwickelten sich Ausprägungen eines »nationalen Bewußtseins« und »nationalen Verhaltens«? Zur Beantwortung dieser Fragen wird auf das von Pierre Bourdieu entworfene Konzept des Habitus zurückgegriffen. Damit ist eine konsequente Historisierung verbunden, die einem allgemeinen, überzeitlichen Verständnis von Nation entgegensteht. Mit der Analyse eines nationalen Habitus, der immer mit anderen, selbst vielschichtigen und wandelbaren Identitäten verbunden war, rückt auch der Körper ins Blickfeld. Eigenschaften und Fähigkeiten, die »der Nation« zugeschrieben werden, können mit dem eigenen Körper einverleibt und durch diesen zum Ausdruck gebracht werden. Umgekehrt wird die Nation durch die Übertragung vermeintlich geschlechtsspezifischer Körpereigenschaften geprägt. Am Beispiel der Turnvereine, die Teil der Nationalbewegung waren, wird gezeigt, welche kulturellen Praktiken ein »nationales Bewußtsein« förderten. In einem ständigen Wechselspiel von Vorstellungen und sozialen Praktiken wurde die Nation immer neu konstruiert. Den Idealen der Zeitgenossen entsprach das freilich nicht. Sie sehnten sich nach einer Vereinigung gegensätzlicher gesellschaftlicher Kräfte in einer organischen Einheit. Durch dieses Verständnis der Nation konnte sogar die eigene Sterblichkeit in den Hintergrund rücken. Die Unfähigkeit, die Historizität der Nation zu denken, war daher immer auch die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit.