Reichsjustiz und Territorialstaat
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Das erstaunliche Faktum der weitgehend friedlichen Koexistenz zwischen mächtigen und schwachen Territorien unter dem Dach des Heiligen Römischen Reiches fasziniert heute mehr denn je. Tatsächlich besaß das Alte Reich nach 1648 eine friedensstiftende Funktion wie kaum ein anderes Land in Europa. Dieses Phnänomen legte die Geschichtswissenschaft vor 1945 als Schwäche aus; heutigen Betrachtungen gilt es dagegen als herausragende Stärke des Reiches. Diese Bewertung gilt nicht nur im Hinblick auf seine defensive Außenpolitik, sondern auch auf die Fähigkeit, Konflikte im Innern meist gewaltfrei zu lösen - trotz des erheblichen Machtgefälles zwischen seinen Gliedern. Erstaunlicherweise sind jedoch die Funktionsmechanismen, die das Reich zu dieser Leistung befähigt haben, nur wenig untersucht. Oft wird der große Widerspruch einfach akzeptiert, das Reich habe zwar angesichts eines fehlenden Behördenapparats eigentlich gar keine Voraussetzungen zu dieser Leistung gehabt, sie aber überraschenderweise dennoch zu erbringen vermocht. Kann jedoch - so ist zu fragen - ein Reich über hunderte von Jahren existieren, ohne über Vollzugsorgane für Gesetzgebung und Justiz zu verfügen? Bei einer näheren Betrachtung der Reichsverfassung nach 1648 wird deutlich, daß Kaiser, Reichstag und Reichsgerichte für die Durchsetzung ihrer Entscheidungen durchaus Alternativen zu einer Zentralverwaltung besaßen. Das Reich regionalisierte nämich seine Exekutive durch Delegation an die Reichskreise. Seit dem Westfälischen Frieden wuchsen insbesondere den kreisausschreibenden Fürsten Sonderaufgaben zu, welche sie zu Granaten der Reichsverfassung machten. So waren in den Konflikten des deutschen Südwestens häufig die Herzöge von Württemberg besonders in den Rollen eines Vollstreckers von Reichsgerichtsurteilen, eines Verwaltungsreformers in Reichsstädten und eines Militärbefehlshabers in Konflikten zwischen Landesherrschaft und Untertanen. Durch die Komissionen wurde Württemberg - meist an der Seite seines Kollegen im Kreisausschreibamt, des Bischofs von Konstanz - mit den Kernproblemen des deutschen Südwestens in der frühen Neuzeit konfrontiert. Verlauf und Wirksamkeit der dabei erprobten Lösungsverssuche stehen im Zentrum von Martin Fimpels umfassender Analyse, die zugleich die erste Monographie zu diesem Themenkomplex darstellt.