Spiegelstücke der Erinnerung
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'Am Weihnachtstag im Jahre 1900 wurde meine Mutter geboren. Im Hause, wie es damals selbstverständlich war, in den frühen Morgenstunden. Eine Tante wickelte das Neugeborene und legte es unter den Christbaum, sie hatte Sinn für kleine Späße. Ricarda Huch und Heinrich Wölfflin, die im Leben meiner Mutter eine große Rolle spielten und großen Einfluß auf ihr Leben und Denken ausgeübt haben, wurzeln noch tief im 19. Jahrhundert. Beide wurden im Jahre 1864 geboren; Wölfflin starb 1945, Huch 1947. Meine Mutter starb 1989. Den Zusammenbruch des Sozialismus, die Wiedervereinigung Deutschlands, den Krieg auf dem Balkan, das Wiedererstehen nationalistischer Ideologien und das Erstarken religiöser Fundamentalismen hat sie nicht mehr erlebt. – Wo sind die Nahtstellen zwischen altem und neuem Denken und Fühlen in diesem Jahrhundert – wenn es solche gibt – in den verschiedenen Lebensgebieten, die sich alle im Gewebe eines Lebens verknüpfen? Ich will von einzelnen Leben erzählen, von Fäden im wechselnden Webmuster der Jahrzehnte, von Gedanken und Gesprächen, die einmal von Bedeutung waren, von Begebenheiten unter den verwirrenden Schattenspielen des Zeitgeistes. Ich will Splitter zusammenfügen, Spiegelstücke der Erinnerung. Ich will anschreiben gegen das Vergessen.' R. W.