Die Abhängigkeit und Loslösung Larras und Escosuras vom Modell des historischen Romans Walter Scotts
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Obwohl das Interesse der Forschung am historischen Roman der spanischen Romantik in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen hat, erweist sich das bereits im 19. Jahrhundert von Literaturkritikern vorschnell gefällte Urteil, die spanischen Erzähler hätten die Bestseller Walter Scotts lediglich kopiert, auch heute noch als äußerst widerstandsfähig. Die Frage nach der Bedeutung Scotts für die Narrativik der spanischen Romantik wird in der vorliegenden Studie erstmals in den Mittelpunkt gestellt. Der Verfasser zeigt anhand einer Analyse der Romane El doncel de Don Enrique el Doliente (1834) von Mariano José de Larra und Ni rey ni roque (1835) von Patricio de la Escosura, daß das traditionelle Vorurteil über den spanischen historischen Roman jeglicher Berechtigung entbehrt. Auf der Grundlage einer umfassenden Darstellung der komplexen geistesgeschichtlichen Situation Spaniens im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wird die Eigenständigkeit der beiden untersuchten Romane dadurch sinnfällig, daß neben deren romantischen Elementen auch deren geschichtshermeneutische Dimension in Rechnung gestellt wird. Weder Larra noch Escosura schreiben das Erzählmodell Scotts fort, da sie den unerschütterlichen Fortschrittsglauben, der sich in diesem Modell ausdrückt, nicht teilen: Während Larra mit seinem Roman seine persönliche, bereits in seinem Artikelwerk formulierte pessimistische Geschichtsphilosophie in Szene setzt, vermittelt Escosura in seiner Erzählung die auf die spanischen Aufklärer und Liberalen von 1812 verweisende Auffassung der Geschichte Spaniens seit dem 16. Jahrhundert als Prozeß des kontinuierlichen Niedergangs. Daß die spanischen Romanciers der Romantik Scotts Romane gelesen hatten, steht außer Frage; daß sie lediglich Imitationen seiner Texte verfaßten, wird durch diese Untersuchung hingegen endgültig widerlegt.