Sabbat und Sonntag
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Schlagworte wie Zeitnotstand, Zeitwohlstand, Zeitsouveränität, Beschleunigungskultur oder Nonstop-Gesellschaft zeigen das Bemühen, den Veränderungsprozess der gesellschaftlichen Organisation von Zeit begreifbar zu machen. Zeit wird dabei als ein Konstruktionsmoment begriffen, das sowohl orientierende, koordinierende und synchronisierende Funktionen haben, sich aber ebenso auch destruktiv, asynchron und belastend auf die Lebenswelt des Einzelnen oder das gesellschaftliche Gefüge insgesamt auswirken kann. Eine der Grundthesen dieses Buches legt dar, dass diese Effekte nicht willkürlich entstehen, sondern Gestaltungsfaktoren unterliegen. Eine besonders prägende Instanz ist dabei die ökonomischen Rationalität, die Zeit als zu verwertende Ware begreift. Die erkenntnisleitende Frage dieses Buches gilt der zeitgestaltenden Rolle, die die evangelische Kirche seit ihren Anfängen gehabt hat und welche sie im Rahmen einer „kirchlichen Zeitpolitik“ haben könnte. Die synodale Diskussion der Nachkriegszeit verdeutlicht, dass sie sich weitgehend auf ihre institutionelle Zuständigkeit für den Sonntag reduziert hat und nur sehr zögerlich eine positive Bewertung der sonntäglichen Arbeitsunterbrechung und Kultur der Muße vorzunehmen in der Lage war. Die theologische Ursache dieser „Angst vor der Ruhe“ wird in einer kirchlichen Identifikation nachgewiesen, die sich primär in einer antijüdischen und gegen die Praxis des Sabbats abgrenzenden Weise profiliert hat. Es geht für die Kirche nicht darum, den Sabbat zu feiern, sondern darum, angesichts einer von Jesus bestätigten Dimension der alttestamentlichen Lebensdienlichkeit des Sabbats zu reflektieren, welche sabbattheologischen Kriterien für eine „kirchliche Zeitpolitik“ handlungsleitend relevant werden können. Es ist an der Zeit, dass die evangelische Kirche eingedenk dieser biblischen Tradition die Politisierung eines anderen Zeitverständnisses betreibt.