Geschichte im Dissens
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Seit 1990 wird öffentlich und in Expertenrunden heftig über Inhalt und Form der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen gestritten. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, die nationalsozialistischen Verbrechen nicht zu relativieren und die stalinistischen nicht zu bagatellisieren. Doch wie ist dieser Auftrag an einem Ort wie Sachsenhausen einzulösen, der von 1936 bis 1945 nationalsozialistisches Konzentrationslager, von 1945 bis 1950 sowjetisches Speziallager und von 1961 bis 1989 Nationale Mahn- und Gedenkstätte der DDR war? An dieser Frage entzünden sich beständig Konflikte zwischen ehemaligen KZ-Häftlingen und stalinistisch Verfolgten: Die einen befürchten, durch die Aufarbeitung der Speziallagergeschichte würde die Erinnerung an die NS-Verbrechen zurückgedrängt, die anderen fühlen sich als „Opfer zweiter Klasse“ behandelt. Ausgehend von einer Darstellung der historischen Schichten des Ortes analysiert die Autorin die Konfliktdynamik seit 1990 anhand eines Konsens-Dissens-Modells. Auf der Grundlage von Interviews mit ehemaligen Häftlingen beider Lager und Gedenkstättenexperten zeigt die Studie, dass die Konfliktursachen in den unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Erfahrungen, politischen Grundüberzeugungen und Wertvorstellungen der Akteursgruppen zu finden sind. Eine Auflösung der Konflikte durch einen alle Beteiligten zufriedenstellenden Kompromiss wäre ein leichtfertiges, weil nicht einzulösendes Versprechen. Vielmehr plädiert die Autorin für die Anerkennung von Differenz als Teil der politischen Kultur im heutigen Deutschland. Damit gewinnt die Studie den Rang eines Meilensteins in den Untersuchungen zum Umgang mit der Vergangenheit, deren Nachwirkungen ihre prägende Kraft in der Gegenwart noch längst nicht verloren haben.