Grenzerfahrungen literarischer Übersetzung
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Literarische Übersetzung gilt als eine individuelle Leistung, die zwischen der Wiedergabe des Ausgangstextes und dem eigenen Sprachverständnis des Übersetzers bzw. der Übersetzerin schwebt. Er oder sie nehmen Anteil an der Aura, die die zu übersetzenden Autoren und Autorinnen der Originale ausstrahlen, und streben danach, selbst als mehr oder weniger talentierte Literaten zu gelten. Dabei plagen sie sich weiterhin mit unzähligen Sprach- und Stilproblemen, mit denen sich ihre Vorgänger bei der Übersetzung anderer Werke auch schon plagten. Dies regt immer wieder zu neuen Versuchen an, über literarisches Übersetzen systematisch zu arbeiten, in der Hoffnung, dass man Methoden, Gesetze oder wenigstens gewisse Regelmäßigkeiten dieser Kunst findet, die bei neuen Übersetzungen nicht nur behilflich sein, sondern auch deren Qualität verbessern könnten. Dies ist besonders wichtig, wenn man bedenkt, dass von den Übersetzungen im Wesentlichen die Aufnahme der Literatur im Ausland und ihre künftige internationale Rezeption abhängen. Eine gute literarische Übersetzung ist somit eine internationale Angelegenheit. Sie wird zu einem Knotenpunkt im Kommunikationsnetz zweier unterschiedlicher Kulturen, ermöglicht einen Kulturtransfer besonderer Art. Aus den Beiträgen ergibt sich zwar keine neue Übersetzungstheorie, was bei der Theoriefeindlichkeit der meisten Übersetzer auch nicht zu erwarten war. Zur Ausgangsfrage nach der Lehrbarkeit literarischer Übersetzung, die am ehesten den roten Faden der vorliegenden Analysen bildet, liefern die hier versammelten Autorinnen und Autoren aber Stoff für weit reichende Überlegungen, welche in diesem Band in fünf Teile gegliedert sind: Ideen zur Bildung, Probleme literarischer Übersetzung, ihre Analysen, Konzepte zur Übersetzung sowie Proben bisher unveröffentlichter literarischer Übersetzungen. Als Quintessenz dieser Überlegungen kristallisiert sich die radikale (Selbst)Reflexion der Persönlichkeit des Übersetzenden heraus. Der Übersetzer sollte sich weniger als kongenialen Einzelkämpfer verstehen, sondern vielmehr als Lehrer und Lernender in einem Übersetzungsprozess, indem er sich permanent auf translatorische Probleme einlässt, deren Lösungen zur Revision des bisher Geleisteten und zum Weiterdenken bei der nächsten Übersetzung führen; zur Selbstreflexion fähig und gleichzeitig der Rolle des Forschungsobjektes nicht abgeneigt. Dies ist es, was an der Grenze von Sprachen, Kulturen, Erfahrungen, individuellen Möglichkeiten und sogar von Erlebnissen erfahren wird. Die übersetzende Person selbst wird zu einem Grenzraum, in dem all dies beim Akt des Übersetzens zusammentrifft.