Der Staat als irdischer Gott
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In der Gegenwart wird über den „Gottesbezug“ von Verfassungen ebenso gestritten wie über eine „Staatsvergottung“, welche die Menschenrechte gefährden könnte. Die Idee eines „absoluten“ Staates hat in der politischen Philosophie der Neuzeit eine lange Geschichte, die bei Hegel gipfelt. Sie gehört zur Emanzipation des säkularen Staates von religiöser und kirchlicher Bevormundung sowie zur Sicherung der Religionsfreiheit und anderer Grundrechte. Staatlich gesetztes Recht ist die einzige Quelle von verbindlichen und sanktionierbaren Gesetzen. Ludwig Siep zeigt, dass Philosophen seit der Epoche der Französischen Revolution den Staat in einer freiheitsgefährdenden Konkurrenz mit den Kräften der Religion und der Wirtschaft sahen. Er konnte in ihr nur durch eine eigene Sinnstiftung für die Menschen bestehen. Es musste sich lohnen, für den Staat im Notfall auf alle privaten Interessen zu verzichten und ihm mindestens ebensolche Opfer zu bringen wie dem Glauben. Diese Überhöhung sollte selber im Interesse des Schutzes der Rechte der Individuen stehen - ganz anders als in den totalitären, rechtsverachtenden Staaten des 20. Jahrhunderts. Der staatlichen Souveränität standen aber nur unzureichend entwickelte Abwehr- und Widerstandsrechte der Bürger gegenüber. Der Autor zieht daraus Konsequenzen für die gegenwärtige Diskussion nach der „Wiederkehr der Religionen“. Zur Sicherung der Grundfreiheiten gegen religiöse Mächte und Privatinteressen muss der Staat höchste Instanz der Rechtssetzung bleiben - er darf nicht „postsäkular“ werden. Wenn Religionsgemeinschaften glaubwürdig, auch nach innen, die Menschenrechte verteidigen und den unparteiischen Staat akzeptieren, braucht dieser keine „sittliche“ oder gar „sakrale“ Autorität. Zur Zügelung der globalen Wirtschaft muss er aber Souveränität an überstaatliche Organe abgeben, ohne dass sein legitimes Gewaltmonopol zerfällt („failed states“).