Jacomo Tentor F.
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Just zu den zwei Jubiläumsjahren 2018/19 des ungewissen 500sten Geburtsdatums von Jacomo Tintoretto stellt Erasmus Weddigen nach seinem ersten Sammelband „Myzelien zur Tintoretto-Forschung“ vom Jahre 2000 einen zweiten Myzelien-Band mit Rückblicken, Vorträgen und Exkursen vor, der das frühere Konvolut von Peripherie, Interpretation und Rekonstruktion um Arbeiten ergänzen soll, die zwar teilweise schon in entlegenen Fachzeitschriften erschienen waren, aber dem interessierten Leser kaum mehr gegenwärtig oder greifbar waren. Was den Myzelien I mangelte, die farbige und ausdrucksreiche Bebilderung der Essays, soll im neuen Kleid eines digital abrufbaren, dem Bande beigegebenen Speichermediums behoben werden: da der Autor seit Jahren sich zur Aufgabe machte, die Genese einzelner Werke und Werkkomplexe auf ihre zeichnerisch-geometrische Struktur zu untersuchen, was nicht ohne lineares farblich akzentuiertes Überarbeiten der Bilder geschehen kann, erlaubt die neue mediale Reproduktionstechnik einen mutigen Sprung in die Zukunft der Veranschaulichung kunsttheoretischer Analytik. Die 24 Essays verschiedenster Erscheinungszeit, Länge und Tiefenschärfe, denen Retuschen und verjüngte Bibliographien verpasst wurden, versuchen dem irrlichtigen Profil des „terribile cervello“ neue Facetten abzugewinnen, die auch psychologische, bildungsspezifische und marktstrategische Belange des noch immer schwierig einzuschätzenden grossen Malers der venezianischen Hochrenaissance zu streifen versuchen. Da die soeben Tintoretto gewidmeten grossen Ausstellungen, Symposien und Vorträge in Köln, Paris, Washington und Venedig sowie deren fachorientierter wie journalistischer Niederschlag ein breiteres Publikum erreichen dürfte, ist Myzelien II geeignet, die seit Jahren entbrannte Diskussion um den Meister und seine Werkstatt, deren Händescheidung, Zu- und Abschreibungen einzelner Werke usw. mit klärenden Beiträgen zur Arbeitsweise Jacomos zu bereichern. Die Fragen zu seiner eigenwilligen Religiosität, seine Nähe zur Reform und ihren Protagonisten, gesellschaftliche und charakterliche Eigenheiten sollen das herkömmliche Bild des frommen, wenig intellektuellen Schnellmalers in ein gerechteres Licht rücken und künftigen Monographien, die es mit jeder neuen Generation geben wird, einen weniger dornenreichen Weg bereiten. Die Essays umfassen Streiflichter auf Tintorettos Musikalität, seine handwerkliche Anbindung an ostkirchliche Traditionen, sein interpretatives und erfindungsreiches Ikonographie-Verständnis, seine toskanischen wie dürerischen Vorbilder, sein Umgang mit Kollegen und Mäzenen, die Herkunft seines religiösen und profanen Wissens, seine mimetischen Anleihen, seine innere Verwandtschaft zum jüngeren Greco und vor allem zur Versehrtheit seiner mobilen Werke, die es im Einzelnen auf ihre originale Erscheinungsweise und Formate zu rekonstruieren galt. Weddigens Werkschau dient nicht einer neuerlichen Idolatrie sondern fügt sich in die Reihe der Hilfswissenschaften, die aus einem eher unakademischen Blickwinkel einem Künstler gewidmet ist, der hoffentlich noch lange „ein grosser Unbekannter“ bleiben wird.