Wildnis, Rothirsch, Fichtenforst
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Als der US-amerikanische Forstmann, Wildbiologe und Naturschützer Aldo Leopold im Jahr 1935 von einer Deutschlandreise zurückkam, hatte er seine Eindrücke in mehreren Texten verarbeitet, die ein Jahr später in der Zeitschrift „Journal of Forestry“ veröffentlicht wurden. 1992 ist sein berühmtestes Buch „A Sand County Almanac“ unter dem Titel „Am Anfang war die Erde“ in deutscher Sprache erschienen, die Texte, die seine Eindrücke insbesondere vom Zustand der deutschen Wälder beschreiben, wurden jedoch bis dato nicht übersetzt. Dies haben nun Georg Sperber (ehemaliger Forstamtsleiter in Ebrach) und Norbert Panek (Landschaftsplaner und Buchenwaldschützer aus Korbach) in einem Buch mit dem Titel „Wildnis, Rothirsch, Fichtenforst – Aldo Leopold und das „Deutsche Problem“ nachgeholt. Erstmalig erscheinen dort Leopolds kritische Beiträge „Deer and Dauerwald“ sowie „Naturschutz in Germany“ in deutscher Sprache. Die Forstwirtschaft im Deutschland der 1930er Jahre hatte sich offiziell zu der von dem Eberswalder Waldbau-Professor Alfred Möller propagierten „Dauerwald“-Idee bekannt, doch deren konsequente Umsetzung blieb unter der Herrschaft der Nationalsozialisten weitgehend nur eine propagandistische Absichtserklärung. Leopold reiste mit hohen Erwartungen nach Deutschland, wurde jedoch von der Realität maßlos enttäuscht. Er sah ausgedehnte, biologisch verarmte Nadelholzreinbestände, die sichtbar unter dem Verbiss-Druck künstlich aufgepäppelter, völlig überhöhter Wildbestände litten. Er beschrieb nicht ohne eine Spur von Sarkasmus Kieferbestände, die „in Reih und Glied den Berghang hinaufmarschieren.“ Zudem beklagte Leopold die „Vogel-Leere der reinen Fichten- und Kiefernwälder“ und das Fehlen jeglicher „Wildnis“ in der deutschen Landschaft. Er beschrieb folgerichtig das „Deutsche Problem“ als ein System der Waldwirtschaft, welches unvereinbar ist mit einem natürlichen und gesunden Wildbestand, und als ein System der Jagdwirtschaft, das mit naturnaher und gesunder Waldwirtschaft nicht im Einklang steht. Sperber und Panek gehen in ihrem Buch kritisch der Frage nach, ob und wie sich die deutschen Wälder seit Leopolds Reise verändert haben und inwieweit das von Leopold beschriebene „Deutsche Problem“ heute noch aktuell ist. Die Antwort der beiden Autoren ist ernüchternd: Noch immer beherrschen naturferne Nadelholz- Altersklassenbestände die deutsche Waldlandschaft und die Wild-Dichte hat sich nach den aktuellen Jagdstrecken seit den 1930er Jahren fast verdreifacht. Durch Verbiss- Schäden an den Waldbäumen entstehen nach Expertenschätzungen wirtschaftliche Einbußen in Höhe von jährlich mindestens 175 Millionen Euro, und ein auf Naturverjüngung ausgerichteter, naturnaher Waldbau wird dadurch nahezu unmöglich gemacht. Ein Grundübel sei, so Sperber und Panek, die „waldverderbliche Unmoral einer modernen Feudaljagd“, deren Lobby-Einfluss immer noch unterschätzt wird. Die aktuellen, von den Autoren akribisch zusammengestellten Zahlen der Bundeswaldinventur offenbaren ein waldökologisches Desaster, das die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung beunruhigen müsste. Doch die mittlerweile auch für Laien sichtbar gewordenen Fehlentwicklungen werden von offizieller Seite systematisch klein- oder gar schöngeredet. Sperber und Panek sind sich einig, dass der Umgang mit unseren deutschen Wäldern nicht nur eine politisch-administrative, sondern auch eine umweltethische Wende im Sinne Leopolds erfordert. Ihr Buch gibt darüber hinaus faktenreiche Einblicke in die jüngere Forstgeschichte und liefert reichlich Stoff für eine notwendige, neue Wald-Debatte.