Umbrüche in der Privatsphäre
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Die Beiträge zu diesem Band untersuchen theoretisch und empirisch den kulturellen Unterbau, das Alltagsleben und die private Reproduktion der Gesellschaft in den Basisinstitutionen Familie und Privathaushalt in Relation zu den gesellschaftlichen und politischen Institutionen und „Systemen“, zu Staat und Politik, Marktökonomie und Medienöffentlichkeit, die auf der „Lebenswelt“ der bürgerlichen Privatsphäre zugleich aufbauen und in sie eingreifen, sowie die Spannungen, Konflikte und Brüche, die neuen Lebenschancen, Lebensformen und sozialen Bindungen, die in diesem Kräftefeld in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland aufgetreten sind. Der Beitrag von Alfons Cramer untersucht das Verhältnis zwischen staatlicher Familienpolitik und der bürgerlichen Form der Ehegattenfamilie, begründet das Interesse des modernen Sozialstaats an dieser Familienform und rekonstruiert Geschichte und Wandlungen der Familienpolitik seit Gründung der Bundesrepublik, die mit ihren verschiedenen, ressortübergreifenden Maßnahmen jene Familienform stützen und erhalten soll. Cramer zeigt auf, dass diese Familienpolitik die tatsächlich ungleichen Familienverhältnisse und bedürfnisse, besonders der Frauen und der neueren, (nicht)familialen Lebensform, weitgehend vernachlässigt, sie ungleich behandelt oder diskriminiert, ohne den Trend zur Pluralisierung der Lebensformen aufhalten zu können. Der Beitrag von Roland Reichwein zeigt anhand der Zunahme der Familien- und Haushaltsauflösungen sowie der Parallelgründungen „neuer“, nichtfamilialer Privathaushalte, dass Familie und Haushalt verschiedene soziale Tatsachen mit spezifischer „Mentalitäten“(geworden) sind und untersucht die Ursachen und Folgen dieses Umbruchs am Verhältnis a) Familie und Haushalt, b) Haushalt und Marktökonomie sowie c) Haushalt und Öffentlichkeit, besonders Sozialpolitik und Massenmedien. Reichwein arbeitet heraus, dass die ökonomischen Rationalitäten oder Mentalitäten von Privathaushalten heute der traditionellen „Familienmentalität“ widersprechen können, dass über sie die Regeln und Maßstäbe der „Systeme“ Marktökonomie, Sozialstaat und Medienöffentlichkeit in die „Lebenswelt“ der Familien-Haushalte eindringen, diese auflösen und zur Gründung neuer, homogenerer Haushalte führen können, und vermutet, dass diese Entwicklung konforme und konservative Tendenzen verstärkt. Der Beitrag von Ferdinand Buer begreift die Binnenstruktur der bürgerlichen Ehegattenfamilie – in einem ideengeschichtlichen Rückblick – weniger als „Gemeinschaft“ oder als „Gesellschaft“, sondern als einen (Lebens)“Bund“, der sowohl Privatisierungs- und Individualisierungs- als auch Solidarisierungs- und Erweiterungstendenzen in sich birgt. Am Beispiel heutiger familialer und sozialer „Netzwerke“ weist Buer nach, dass der Lebensbund der Familie anschlussfähig ist für weitere „Bündnisse“, mit denen die Enge und Isolation der bürgerlichen Privatfamilie überwunden und diese sekundär stabilisiert werden kann. Insoweit stellt Buer den kritischen Tendenzen der anderen Beiträge eine positive, utopische Alternative entgegen, die eine andere politische Wirkung entfalten könnte als die von Reichwein angenommene.