"Auf das Opfer darf keiner sich berufen"
Autoren
Mehr zum Buch
Tanja Schmidt, geb. 1961, Diplom-Psychologin und Literaturwissenschaftlerin, legt mit diesem Band eine theoretisch fundierte und spannende Analyse der öffentlichen Diskussion über sexuellen Missbrauch vor. Sie spürt die zentralen Opferdiskurse auf und macht in eindrücklicher Weise sichtbar, wie die ursprünglich aufklärerischen Intentionen der öffentlichen Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt sich verändert haben und dabei sind, in die Mythologie zurückzufallen – anschaulich etwa im Mythos des „unschuldigen Kindes“ oder in dem der „Täter als Opfer“. Anhand der sorgfältigen Dekonstruktion der öffentlich produzierten Identität des „Inzestopfers“ / der „missbrauchten Frau“ zeigt sie – auf dem Hintergrund ihrer praktischen Arbeit mit betroffenen Frauen –, welche Funktionen dieses Identitätskonstrukt für die Frauen und innerhalb des gesellschaftlichen Machtgefüges hat. Zu den faszinierendsten Kapiteln des Buches gehört der Kommentar zu der programmatischen Formel von der „Unschuld“ der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen, wie sie vor allem durch die Ratgeberliteratur verbreitet wird. Die Autorin zeigt, dass die Verhältnisse komplizierter sind: dass es reale Mitbeteiligungen und Verstrickungen als psychische Überlebensstrategien gibt, deren Leugnungen lediglich zur Aberkennung von Subjektivität führen, - die Wiedererlangung von Würde und aktiver Handlungsfähigkeit setzt jedoch eine Auseinandersetzung mit den eigenen Verstrickungen voraus, den Weg durch die „unterste Etage der Hölle“, wie die Autorin eine Frau aus einer Selbsthilfegruppe zitiert. Ein genaues und aufmerksames Buch, das den Blick schärft für die Wirklichkeit – für Praktiker/Innen ebenso wie für interessierte Laien.