Europas Grenzen
Körper, Karten, Kollektive seit der Antike






Körper, Karten, Kollektive seit der Antike
Wissen entsteht nicht unabhangig von Raumen, sondern ist schon in seiner Formierung selbst an Prozesse der Verraumlichung gebunden. Historisch zunachst als visuelle Differenz konstruiert, spielt fur die Konstruktion rassischer Unterschiede die Dimension des Raumes ebenfalls eine zentrale Rolle.
Die Geschichte der Neuzeit ist innerhalb und außerhalb Europas geprägt von Auseinandersetzungen um die territoriale und politische Vormachtstellung in Europa. Dabei handelt es sich um ein Europa, welches als politische Einheit imaginiert in dieser Zeit erstmals Form annimmt. Die in diesem Band versammelten Beiträge widmen sich der Frage nach der visuellen Gestaltung und Repräsentation des Politischen, der bildlichen Formierung abstrakter Konzepte wie Territorium, Nation und Herrschaft. Sie gehen der Frage nach, wie und mit welchen visuellen Mitteln und Strategien das Verhältnis zwischen biologischem Individual- und symbolischem Kollektivkörper gestaltet wurde und welche Rolle Geschlechterbilder dabei spielen. Die Beiträge konzentrieren sich auf zwei Schwerpunkte: Die Verhandlung und Bedeutung des Geschlechts in der visuellen Inszenierung des Herrschaftskörpers und die Imagination und Repräsentation des Kollektivkörpers mittels der weiblichen Allegorie.
Mahnmale, Erinnerungsorte und die Art des öffentlichen Gedenkens an den Holocaust werden in unserer Gesellschaft kontinuierlich diskutiert, das politische und kulturelle Selbstverständnis ist geprägt von - oft ikonografischen - Bildern. Welche Erinnerungsbilder und Deutungsmuster aber gibt es, und aus welchen Gründen haben sie (k)einen Platz im kollektiven Gedächtnis gefunden? Der Sammelband befasst sich mit der filmischen Erinnerung an den Holocaust. Die Beiträge widmen sich überwiegend Filmbeispielen, die sich kritisch mit den ikonografischen Mustern auseinandersetzen oder Fragen nach den Grenzen und Möglichkeiten von Erinnerung selbst aufwerfen. Mit Blick auf eine zunehmend globalisierte Erinnerungskultur werden internationale Filmwerke untersucht und Erinnerungsräume betrachtet: Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie sich die filmische Erinnerung an die Verfolgung und die NS-Massenmorde im Laufe der Jahrzehnte verändert hat, zum Beispiel in Bezug auf Täter- und Opferperspektiven oder unterschiedliche Opfergruppen. So werden unter anderem auch die Verfolgung von Roma und Sinti und Homosexuellen als „Leerstellen der Erinnerung“ thematisiert. Mit Beiträgen von Heike Klippel, Sven Kramer, Ronny Loewy, Lihi Nagler, Marcus Stiglegger, Ulrike Weckel, Mirjam Wenzel, Michael Wildt u. a.
Das Konzept des »Männerbunds« wurde um 1900 in verschiedenen Wissenschaftsbereichen, der Politik und im Umfeld des Kaiserhauses diskutiert. Insbesondere zwischen 1906 und 1908 standen die engsten Berater Kaiser Wilhelm IIs. im Verdacht, eine homosexuelle »Verbündelung« zu bilden. Diese Diskussion fand auch in der Presse statt und führte zu einer breiten Popularisierung des Männerbundgedankens, insbesondere unter der jungen männlichen Generation, die von diesem Gedanken fasziniert war. Der (homo)erotische Bund unter Männern half, moderne und gefühlvolle Männlichkeit zu entwickeln und verlieh dieser auch politisches Gewicht. Der Männerbunddiskurs propagierte ein exklusiv männliches Staatsverständnis und schloss Frauen sowie Juden von politischer Partizipation aus. Anhand des Wandervogelchronisten und Laienanalytikers Hans Blüher wird das Zusammenspiel von Wissensdiskursen, Machtstrukturen und Subjektentwürfen eindrucksvoll verdeutlicht. Blüher entwickelte sich von einem Vorkämpfer der Homosexuellenemanzipation zu einem der radikalsten Antisemiten der Weimarer Republik und Anhänger der Konservativen Revolution, was die komplexen Verflechtungen dieser Themen aufzeigt.
Worin bestand das Körperempfinden in der Frühen Neuzeit? Weshalb bestanden „hysterische“ Frauen am Ausgang des 19. Jahrhunderts darauf, mit Ärzten über ihre Sexualität zu sprechen? Weshalb strebten staatliche Stellen an, der Bevölkerung wissenschaftliche Kenntnisse über ihr Sexualleben zu vermitteln? Wie sieht das Sexualverhalten Jugendlicher in den letzten 50 Jahren aus? Die ausgewählten historischen Beiträge von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart eröffnen neue Einsichten in Wandel und Kontinuitäten sexueller Erfahrungen im deutschsprachigen Raum. Zwar entwickelte sich erst am Ausgang des 19. Jahrhunderts ein dynamischer medizinischer Diskurs, der sich um die „Sexualität des Menschen“ kümmerte, doch gab es auch in der Frühen Neuzeit Thematisierungen von „sexuellen Erfahrungen“, etwa im kirchlichen und weltlichen Recht. Im 19. Jahrhundert führten vor allem innovative biologische und medizinische Theorien zu neuen Zuschreibungen und Erwartungen. Die Beiträge dieses Bandes zeigen, wie sich der Erfahrungsraum „Sexualität“ von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart unter wissenschaftlichen, klinischen, politischen und gesellschaftlichen Vorzeichen entwickelt und verändert hat.