Die Einbildungskraft ist besonders in der philosophischen Tradition vielfach zum Gegenstand der ästhetischen Spekulation geworden. Von jeher sah der Mensch in ihrer bewegenden Kraft den Grund für jede künstlerische Gestaltung. Schon Platon weist jedoch auf ihre Zweideutigkeit hin, indem er dem Dichter die göttliche Gabe zuspricht, ihn aber an einer anderen Stelle aus seinem Staat verweist. Die Arbeit will den Weg zeigen, auf dem Rudolf Kassner als der einzige neuzeitliche Denker die Einbildungskraft zum geistigen Prinzip seiner Weltdeutung erhebt. Ihre Idee erwächst bei Kassner aus der Musik, die er nicht als Klangkunst, sondern als dramatische «Grenze» von Werk und Leben des Künstlers versteht. Die Idee der Geschichte und die Gestalt Christi, denen die zwei weiteren Hauptteile gewidmet sind, sieht er aus der Perspektive der weltschöpferischen Einbildungskraft. Sie sichert die plastische Kontinuität der Zeit und vermag den christlichen Glauben zu steigern. Kassner bietet damit einen bedeutenden Beitrag zum modernen Denken über die Kultur, die heute oft eines geistigen Hintergrunds ermangelt.
Sławomir Les niak Bücher




Die Entwicklung des Essays
- 145 Seiten
- 6 Lesestunden
Die vorliegende Arbeit unternimmt einen Versuch, eine Entwicklungslinie des Essays als literarische Form zu statuieren, die an logisch-mathematischen Kategorien ausgerichtet ist. Die damit entworfene Entwicklung des Essays, die hier an vier prominenten Vertretern der deutschsprachigen, essayistischen Prosa im XX. Jh. ausgewiesen wird, verschiebt den Forschungsschwerpunkt von der allgemeinen Essay- bzw. Essayismus-Theorie auf eine kategoriale Analyse von Essaytexten, die sich zwar außerhalb der Frage nach der Gattungsbestimmung des Essays bewegt, doch das strukturelle, kritisch-subversive und ästhetisch-innovative Zentrum des Essays bewahrt.
In der aktuellen Diskussion über den deutschsprachigen Essay herrscht die Überzeugung, dass diese Literaturform als eigenständige Kunstform ausgestorben sei und lediglich als Schauplatz von Experimenten und Kritik oder als Reflex eines von Musil konzipierten Essayismus betrachtet werden kann. Viele Literaturkritiker ziehen daraus das Fazit, dass der Essay sich in einem Übergang befindet. Diese Sichtweise führt jedoch zu der Erkenntnis, dass nicht nur eine essayistische Typologie, sondern auch jeder dynamische Ordnungsbegriff einer ständigen Metaphorisierung unterliegt. Wäre der Ordnungsbegriff nur ein Übergang, würde er zu einer „Blindstelle“ werden, die, wie Luhmann sagt, nichts erklärt und auf eine Paradoxie zurückführt. Die vorliegende Arbeit untersucht typische Strukturen in der essayistischen Prosa von Thomas Mann, Max Rychner, Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Kassner. Traditionelle Topoi und Merkmale des Genres werden als dynamische und spannungsvolle Konfigurationen von sich verdichtenden und wieder auflockernden Kraftfeldern interpretiert, wobei sie als Durchdringungsstellen von Inhalts- und Formelementen der essayistischen Gattung sichtbar werden.