Mary Jean Fulbrook ist eine herausragende britische Akademikerin und Historikerin, deren Werk sich mit den Komplexitäten der deutschen Geschichte befasst. Ihre umfangreiche Forschung erstreckt sich über verschiedene Bereiche, darunter Religion und Gesellschaft im frühneuzeitlichen Europa, die Natur deutscher Diktaturen des 20. Jahrhunderts und die andauernden Auswirkungen des Holocaust auf Europa. Fulbrook beschäftigt sich auch mit Historiographie und Gesellschaftstheorie und untersucht kritisch, wie Geschichte konstruiert und interpretiert wird. Ihre wissenschaftliche Arbeit bietet tiefe Einblicke in die komplexen sozialen und politischen Kräfte, die den europäischen Kontinent geprägt haben.
In der Reihe »Search and Research« werden Vorträge, Forschungsberichte und Symposien veröffentlicht, die im Rahmen des »Yad Vashem International Institute for Holocaust Research« entstanden sind. Darüber hinaus gibt die Reihe den im Umfeld des Instituts agierenden Wissenschaftlern eine Plattform, innovative Forschungsansätze und erste Ergebnisse zu veröffentlichen.
Wie haben „gewöhnliche“ Deutsche am Holocaust mitgewirkt? In ihrem Buch untersucht Mary Fulbrook die Rolle des Landrats Udo Klausa in Bedzinie, Oberschlesien, nur 37 Kilometer von Auschwitz entfernt. Klausa kann als Chef der Zivilverwaltung keine direkte Gewaltanwendung gegen Juden nachgewiesen werden, dennoch hat er Leid verursacht und auf seine Weise die Voraussetzungen für den Genozid geschaffen. Fulbrooks Buch bietet ein differenziertes Bild der „Banalität des Bösen“ und beschäftigt sich mit einer vernachlässigten Fragestellung: Bislang richtete sich der Blick eher auf die am Massenmord Beteiligten und die Schreibtischtäter wie Eichmann. Wie aber wurde der Holocaust in der Verwaltung umgesetzt bzw. ermöglicht, wie ist die Ghettoisierung durchgeführt worden – und wie hat der Leiter der Zivilverwaltung seine Beteiligung vor sich selbst gerechtfertigt und diese Erfahrung verarbeitet? Das Buch zeigt, wie die jüdische Bevölkerung schrittweise erniedrigt und geschwächt wurde, so dass eine „Endlösung“ aus der Perspektive der deutschen „Herrenrasse“ notwendig zu sein schien. Die Zivilverwaltung übte so eine systematische Gewalt aus und schuf Bedingungen, unter denen der Holocaust als einzige „Lösung“ denkbar wurde und eine solche „Lösung“ am effizientesten in die Praxis umgesetzt werden konnte.
Wie war das Leben in der ehemaligen DDR wirklich? Die Analyse des repressiven politischen Systems mit Mauerbau und Stasi, politischer Unterdrückung und Mangelwirtschaft gibt nur einen Teil der Wahrheit wieder. Die Erfahrungen, Wahrnehmungen und Erinnerungen vieler Ostdeutscher zeigen ein anderes Bild: Viele erklärten nach der Wiedervereinigung 1990, sie hätten ›ein ganz normales Leben‹ geführt. Auf Grund der reichhaltigen Quellen in den nun geöffneten DDR-Archiven sowie zahlreichen Gesprächen mit Menschen, die in der DDR gelebt haben, geht Mary Fulbrook diesem Widerspruch nach. Sie untersucht die Verwandlung der ostdeutschen Gesellschaft in die eines modernen Industriestaates, entstanden auf den Ruinen des ›Dritten Reiches‹, und gibt aufschlussreiche Einblicke in die wirtschaftlichen und sozialen Umstände sowie die individuelle Lebensgestaltung der DDR-Bürger.