Henry Miller
26. Dezember 1891 – 7. Juni 1980
Henry Valentine Miller (* 26. Dezember 1891 in New York; † 7. Juni 1980 in Los Angeles) war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Maler.
Henry Miller wurde am 26. Dezember 1891 im New Yorker Stadtteil Yorkville (Manhattan) in einfachen Verhältnissen geboren. Beide Eltern waren katholisch und stammten aus Deutschland; die Mutter Louise Marie Neiting aus Hessen und der Vater Heinrich Miller, der von Beruf Schneider war, aus Bayern. Während seiner Schulzeit lebte er in New York–Williamsburg (Brooklyn). Nach dem Schulabschluss begann Henry Miller ein Studium am City College der Universität New York, das er jedoch nach zwei Monaten wieder abbrach, da ihm die vorgegebene Leseliste nicht gefiel. „Wenn ich solche Lektüre lesen muss“, sagte Miller, womit er sich auf Faerie Queene von Edmund Spenser bezog, „gebe ich auf.“ Nach Abbruch des Studiums arbeitete er bei der Atlas Portland Cement Company im Finanzdistrikt von New York. Aber der Job stellte ihn nicht zufrieden: 1913 unternahm er einen „Ausbruchsversuch“ und reiste in den Westen, um sich als Cowboy zu verdingen und dem verhassten Großstadtleben zu entrinnen. Aber seine romantischen Vorstellungen kollidierten schnell mit der Realität. Schon wenige Monate darauf war er wieder zurück in New York. Er begann bei seinem Vater in der Schneiderei zu arbeiten, wo er seine Vorliebe für feine Stoffe und Anzüge entdeckte, die er sein Leben lang beibehalten sollte. 1917, mit 26 Jahren, heiratete Miller die erste von fünf Frauen, Beatrice Sylvas Wickens. Er hielt sie für ein ‚gutes Mädchen‘, das seiner Mutter gefallen würde, und die Ehe bewahrte ihn davor, in den Krieg eingezogen zu werden. Doch nach der Heirat schlug sein erster Eindruck um, er hatte nun das Gefühl, als lebe er wieder bei seiner Mutter. Beatrice war ihm gegenüber kritisierend und fordernd und spottete über seinen Ehrgeiz, Schriftsteller werden zu wollen. Er war nicht imstande, längere Zeit auf einer Arbeitsstelle auszuharren, womit er Beatrice hätte zufriedenstellen können. Immer wieder ließ er sich entlassen, um zu schreiben oder philosophische Schriften zu studieren. Aus dieser Ehe stammt die erste Tochter namens Barbara. Im Jahr 1920, nachdem das Schneidergeschäft seines Vaters insolvent geworden war, bewarb sich Miller um eine Stelle als Bote bei der Western Union Telegraph Company New York, erhielt aber eine Absage. Er beschwerte sich daraufhin wütend an höherer Stelle in der Firma und fragte, warum man ihn nicht für eine dermaßen einfache Tätigkeit einstellen wollte. Dies machte Eindruck, und er bekam den Arbeitsplatz, der ihm vorher versagt worden war. Mit einer Zusatzaufgabe: Er sollte als Bote die verschiedenen Filialen kennenlernen und für die Geschäftsführung regelmäßig Berichte abliefern, also spionieren. Im Gegenzug wurde ihm eine Stelle als Personalleiter in einer der zahlreichen Filialen der Western Union Telegraph Company in Aussicht gestellt, sobald er ausreichend Erfahrung gesammelt und sich bewährt hätte. Diese Stelle trat er nach einigen Monaten auch an. Das alltägliche Heuern und Feuern, die menschlichen Tragödien und die seinem Empfinden nach höllische Maschinerie der Firma sollten später die Grundlage für seinen Roman Wendekreis des Steinbocks bilden. Der Chef der Telegraph Company kam eines Tages mit der Idee zu ihm, dass jemand ein Buch über Boten in der Art von Horatio Alger schreiben sollte. Miller wurde dafür von seinem Arbeitgeber beurlaubt und schrieb das Buch innerhalb von drei Wochen. Miller präsentierte ein Buch mit dem Titel Clipped Wings, das zwölf Boten einer Telegraphengesellschaft zum Inhalt hat. Miller schrieb über „sanfte Seelen, welche beleidigt und verletzt sind, die Amok laufen oder Gewalt ertragen und erleiden; Geschichten voller Leid und Bitterkeit, in denen die Menschen entweder zu Mördern werden oder sich selbst umbringen, gewöhnlich beides“ Miller betrachtete das Buch als Misserfolg, da er nicht viel Ahnung vom guten Schreiben hatte; doch dieser erste Versuch ließ in ihm einen starken Drang entstehen, das schriftstellerische Schreiben zu erlernen und mehr darüber zu erfahren. Miller arbeitete vier Jahre für die Telegraphengesellschaft bis zum Zusammentreffen mit seiner zweiten Frau June Edith Smith Mansfield. June war von Beruf „Taxigirl“, eine Tänzerin, die für einen Tanz gemietet werden kann. Sie ermunterte ihn dazu, seine Arbeitsstelle aufzugeben und seine Schreibversuche fortzuführen. Sie unterstützte Miller finanziell, sodass er seine autodidaktische Bildung fortsetzen und seinem Traum von der Schriftstellerei intensiver nachgehen konnte. In dieser Zeit begann er, kürzere Arbeiten auf eigene Kosten drucken zu lassen und in Form kleiner Subskriptionen zu veröffentlichen, die er mit Hilfe seiner Frau June und einiger Freunde auf der Straße, in Restaurants und in Bars vertrieb. June sparte genug Geld, sodass beide 1928 und 1929 mehrere Monate in Paris Urlaub machen und einen Vorgeschmack vom Leben der Bohème bekommen konnten. Dank June reiste Miller 1930 im Rahmen einer Europareise für längere Zeit nach Paris, wo er mehr als 36 kreative und analytische Werke verfasste. 1931 nahm er einen Job bei der Pariser Ausgabe der Zeitschrift Chicago Tribune als Korrektor an, was er seinem Freund Alfred Perlès verdankte, der dort arbeitete und zeitweise mit ihm zusammen wohnte. Diese Zeit wird in dem teilweise autobiographischen, erstmals 1940 erschienenen und 1956 überarbeiteten Roman Stille Tage in Clichy beschrieben, der ursprünglich aus den beiden Romanfragmenten Stille Tage in Clichy und Mara Marignon bestand. In Paris fühlte er sich besonders den unkonventionellen Künstlern nahe, was ihm half, seinen eigenen schriftstellerischen Stil zu entwickeln. Seine wichtigste Muse und Förderin war die in Frankreich geborene amerikanische Schriftstellerin Anaïs Nin, die ihm aufgrund ihres psychologischen Einfühlungsvermögens die entscheidenden inhaltlichen Impulse zur schriftstellerischen Selbstfindung gab und mit der sowohl er als später auch seine Frau June eine intensive sexuelle Beziehung pflegten. Anaïs Nin verfasste schließlich das Vorwort zu Millers erstem Buch und verarbeitete die Beziehung der drei in ihren Tagebuchaufzeichnungen Henry, June und ich.Während des Europa-Aufenthaltes entstanden Werke wie Wendekreis des Krebses (1934), Schwarzer Frühling (1936) und Wendekreis des Steinbocks (1939), in denen er viele eigene sexuelle Erfahrungen, aber auch philosophische Erkenntnisse niederschrieb. 1939 zog Henry Miller nach Griechenland, im Jahr darauf kehrte er wegen des Zweiten Weltkriegs in die USA zurück. 1940 unternahm er mit dem Maler Abraham Rattner (1895–1978), den er in den 1930er Jahren in Paris kennengelernt hatte, von New York aus eine Reise in den Süden der USA. Millers Beschreibung und Rattners Illustrationen der Reise wurden 1945 veröffentlicht in The Air-Conditioned Nightmare (Der klimatisierte Alptraum). 1944 ließ sich Miller für die nächsten 18 Jahre seines Lebens in der kalifornischen Küstenregion Big Sur nieder und setzte dort seine schriftstellerische Tätigkeit fort. Millers Hauptwerk aus dieser Periode stellt das dreibändige Werk „The Rosy Crucifixion“ dar, welches „Sexus“ (1949), „Plexus“ (1953) und „Nexus“ (1960) umfasst. Diese drei Bände beinhalten seine früheren Erlebnisse und Abenteuer. Darüber hinaus schrieb Miller: „Lawrence Durrell/Henry Miller“ – Briefe 1935–1959, 1962 veröffentlicht. Der Briefwechsel wurde fortgeführt bis 1980. „Briefe an Anaïs Nin“, 1965 veröffentlicht. „Die Welt des D. H. Lawrence: Eine leidenschaftliche Anerkennung“, 1980 veröffentlicht. „Opus Pistorum“, 1983 posthum veröffentlicht. Die meisten Kritiker bezweifeln bei diesem rein pornografischen Werk, dass es sich hierbei wirklich um Millers Arbeit handelt. Bekannt ist nur, dass Miller dem Verleger dieses Buches angeblich immer wieder einzelne Seiten verkauft haben soll. Einzelheiten dazu unter Opus Pistorum.Die Veröffentlichung des Buches „Wendekreis des Krebses“ in den Vereinigten Staaten führte 1961 zu einer Reihe von Gerichtsverhandlungen, in denen die amerikanische Justiz das Buch hinsichtlich des schockierenden, alle sexuellen Tabus verletzenden Inhalts zu prüfen hatte. Das oberste Gericht der USA erklärte im Jahr 1964 das Buch für nicht obszön und der modernen Literatur zugehörig.Die sprachliche Offenheit bei erotischen Beschreibungen führte dazu, dass Millers Bücher bis in die 1960er Jahre in den USA und in Großbritannien verboten waren. In Frankreich war sein Buch „Sexus“ 18 Jahre lang nicht für die Veröffentlichung zugelassen. 1957 wurde er in die American Academy of Arts and Letters gewählt. In den späteren Jahren wurde Miller hauptsächlich wegen seiner Rolle als Sprecher und Denker bewundert. Den leeren Materialismus der modernen Existenz kritisierend, verlangte er eine neue Religion des Körpers und Geistes, die auf den Ideen des Philologen und Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) sowie den beiden Schriftstellern Walt Whitman (1819–1892) und D. H. Lawrence (1885–1930) beruht. Er interessierte sich auch für Erziehungsfragen und unterstützte A. S. Neills Schule Summerhill finanziell.Miller lebte in seinen letzten Jahren allein und ging hauptsächlich der Aquarellmalerei nach, ohne sich hier für einen Künstler zu halten. Er war ein enger Freund des französischen Malers Grégoire Michonze. Außerdem war er Amateurpianist. Miller war insgesamt fünfmal verheiratet: mit Beatrice Sylvas Wickens (1917–1928), June Edith Smith (1928–1934), Janina Martha Lepska (1944–1952), Eve McClure (1953–1960) und Hiroko Tokuda (1967–1977). Die Schriftstellerin Anaïs Nin war seine bekannteste Geliebte. Er starb am 7. Juni 1980 in Pacific Palisades, Kalifornien.