Jiří Gruša
10. November 1938 – 28. Oktober 2011
Jiří Gruša (Pseudonyme Jaroslav Konečný, Josef Balvin und Samuel Lewis; * 10. November 1938 in Pardubice, Tschechoslowakei; † 28. Oktober 2011 in Bad Oeynhausen, Deutschland) war ein tschechischer Schriftsteller, Lyriker, Übersetzer, Dissident und Diplomat.
Gruša kam aus einer mittelständischen Familie. Vater Emanuel Gruša und Mutter Blažena Machková waren Beamte. 1957 schloss er in seiner Geburtsstadt das Gymnasium ab und studierte Philosophie und Geschichte an der Karls-Universität Prag, wo er 1962 an der philosophischen Fakultät zum Dr. phil. promovierte.Als Autor trat Gruša in den 1960er Jahren in Erscheinung. Er publizierte gemeinsam mit weiteren jungen Schriftstellern, darunter Jiří Pištora, Petr Kabeš, Jan Lopatka, Václav Havel, Zbyněk Hejda und Věra Linhartová in der 1963 mitbegründeten Zeitschrift Gesicht (Tvář), der ersten nichtkommunistischen Zeitschrift im Lande. Als er eine kritische Abrechnung mit der stalinistischen Poesie der 50er Jahre veröffentlichte, wurde Tvář zwangsweise eingestellt. Anschließend war er Mitbegründer und Mitarbeiter der literarischen Zeitschrift Hefte (Sešity), später arbeitete er als Redakteur der Wochenzeitschrift Das Morgen (Zítřek).1968 beteiligte sich Gruša gemeinsam mit anderen Intellektuellen am Prager Frühling. Im Zuge der landesweiten Repressionen nach dem gescheiterten Aufstand während der sogenannten Normalisierung belegte ihn das tschechoslowakische Regime mit Berufsverbot. Er wurde strafrechtlich verfolgt, weil er teilweise seinen Roman Mimner aneb Hra o smrďocha (dt. 1986 Mimner oder das Tier der Trauer) in Sešity veröffentlichte. Der Roman sollte wegen des pornografischen Inhalts verboten werden, das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Aufgrund des Berufsverbots musste er bei verschiedenen Bauunternehmen arbeiten. Ferner übersetzte er Theatervorlagen und war neben seiner Tätigkeit als freier Mitarbeiter eines Theaters kaum künstlerisch aktiv. Unter anderem erschienen in der von ihm und Ludvík Vaculík gegründeten illegalen Samisdat-Reihe (Selbstverlag) edice Petlice (dt. Edition hinter Schloss und Riegel) einige seiner Werke.Gruša gehörte zu einer antiideologischen Generation, die das totalitäre System nicht geschaffen hatte, aber darin leben musste. In den 1960er Jahren veröffentlichte er drei Gedichtbände, über die traumatische Atmosphäre der siebziger Jahre konnte er seine desillusionierende Gedichtsammlung Gebet an Jana (Modlitba k Janince) nur im Samisdat publizieren. Auch die Bücher der nächsten Jahre wurden im Samisdat verbreitet. Er unterzeichnete die Charta 77 und wurde 1978 von der Staatsgewalt wegen seines in Toronto bei Sixty-Eight Publishers erschienenen Romans Fragebogen (Dotazník), der als Angriff auf das gesellschaftliche System gewertet wurde, verfolgt. Nach über zwei Monaten wurde er, auch dank zahlreicher Intervention aus dem Ausland, entlassen. Noch im gleichen Jahr wanderte Gruša nach Toronto aus. 1980 erhielt er ein literarisches Stipendium an der MacDowell Colony in den USA, ging nach Deutschland und lebte in Bonn. 1981 wurden ihm die tschechoslowakischen Bürgerrechte aberkannt, zwei Jahre später erhielt er die deutsche Staatsangehörigkeit. Zu dieser Zeit begann Gruša seine Texte auch deutsch zu schreiben. Für tschechische Schulen in Österreich verfasste er ein Lesebuch. Nach der samtenen Revolution wurde Gruša zum tschechischen Botschafter in Deutschland ernannt (von 1990 bis Juni 1997). Von Juni bis November 1997 war er tschechischer Bildungsminister in der Regierung Václav Klaus II, von 1998 bis 2004 Botschafter in Österreich. Von 2005 bis 2009 war Jiří Gruša Direktor der Diplomatischen Akademie Wien. Vom 27. November 2003 bis zum 21. Oktober 2009 bekleidete er die Funktion des Präsidenten des internationalen P.E.N.-Clubs. Jiří Gruša war von 1992 bis zu seinem Tode Vorstandsmitglied der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Er war 1994 einer der Erstunterzeichner eines Aufrufs für die Stiftung „Verbrannte und verbannte Dichter/Künstler – für ein Zentrum der verfolgten Künste“, den die Wuppertaler Gesellschaft gemeinsam mit dem PEN Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland („Exil-PEN“) initiiert hatte. Jiří Gruša war dreimal verheiratet – ab 1962 mit Anna Goldstückerová, der Tochter Eduard Goldstückers, mit ihr hatte er eine Tochter (Milena, geb. 1962) und einen Sohn (Martin, 1966–1989), aus der Ehe mit Ivana Koutsková stammt ein Sohn (Václav, geb. 1976), seit Mitte der 80er Jahre war er mit Sabine Gruša, gesch. Bruss, verheiratet. Mit ihr, seiner deutschen Ehefrau, lebte er bis zu seinem Tod 2011 bei Bonn. Gruša starb während einer Herzoperation und wurde auf dem Friedhof Malvazinky im Prager Stadtteil Smíchov beerdigt. Im Mährischen Landesmuseum Brünn wurde 2016 wurde ein Jiří-Gruša-Archiv eingerichtet. Der österreichische Wieser Verlag begann 2014 eine zehnbändige Jiří-Gruša-Werkausgabe, die 2018 abgeschlossen wurde.