Hanns Zischler ist Schauspieler, Regisseur und Publizist sowie Mitbegründer der Verlage Merve und Alpheus. Sein Werk umfasst ein breites Spektrum kreativer und intellektueller Bestrebungen. Als Autor konzentriert er sich auf tiefgründige thematische Erkundungen, die durch einen fesselnden Stil präsentiert werden. Sein Beitrag zur literarischen Welt ist bemerkenswert für seine einzigartige Stimme und Perspektive.
"Von Weltreisen und verschollenen Erinnerungen" erzählt die Geschichte der 17-jährigen Pauline, die 1899 aus einem fränkischen Dorf nach New York aufbricht. Ihre unerwartete Liebesgeschichte mit Max und die Entdeckung ihrer Vergangenheit werden sechzig Jahre später von der jungen Elsa rekonstruiert, während sie gemeinsam Paulines Erinnerungen erforschen.
Er gehört zum Buch wie die Blätter und Deckel. Der Fehler, irgendwann passiert zwischen Satz, Korrektur und Druck. Er sorgt für jene subversiv bewegliche kleine Form, die im Buch herumgeistert oder gern auch herausfällt : den Zettel, der zumindest einen Teil aller Unfälle und Verfehlungen bekennt und der anzeigt: die falschen Buchstaben und Zeichen, die unglücklichen Verluste und Zuwächse bewegen etwas in den Büchern und in uns. Für den einen sind sie ein Vergehen, das nur mit dem eigenen Tod gerächt werden kann, für den anderen Poesie der Poesie. Oft erstecken sie sich, heimlich und peinlich, an den Rändern und in den Ecken, und werden von anderen entdeckt, oft müssen wir sie selbst anzeigen, als Bußübung oder Selbstbewusstseinsschulung.
Hanns Zischlers großartiges literarisches Debüt über das Erinnern, den Verlust und das Weitergehen. Es ist eine Geschichte, so zart, schimmernd und fragil wie ein Orangenpapier: Sie handelt von Elsa, einem Mädchen, das es Mitte der 50er- Jahre mit seinem Vater von Dresden nach Bayern verschlagen hat. Obwohl Elsa erst kurze Zeit in der kleinen Stadt an der Ache ist und sie von vielen wegen ihres Dialekts belächelt wird, hat sie schon Freunde: Asampauli, mit dem sie den Schulweg teilt; der Lehrer Kapuste, der seinen Schülern seltsame Rätsel aufgibt; und die Obsthändlerin, die für Elsa die exotischen Papiere auf bewahrt, in denen die Orangen eingeschlagen sind. Auf die Idee, Orangenpapiere zu sammeln, hat Kapuste Elsa gebracht. Vielleicht, weil er ahnt, dass sie einen Fluchtpunkt benötigt, und eine Brücke, mit anderen über die Dinge zu sprechen, die sie tief in sich verschlossen hält. Und tatsächlich, als eine Neue in die Klasse kommt, beginnt für Elsa – langsam und tastend – ein Aufbruch …Hanns Zischlers Erzählung ist ein literarisches Kleinod von enormer erzählerischer Kraft. Durch die Genauigkeit der Beobachtung und die Konzentration auf das Einzelne gelingt es Hanns Zischler, die Atmosphäre einer Zeit einzufangen, in der sich – trotz Traumatisierung und Verlust – eine tiefe Würde und Stärke verbarg.
»Brasilien! Als träte man in ein unbekanntes Paradies …« Im 19. Jahrhundert öffnet sich Brasilien der Welt, und Friedrich Sellow zählt zu den ersten Entdeckern. In dieser Zeit des Aufbruchs zur Unabhängigkeit erkundet er als einer der ersten Europäer unbekannte Völker, Kulturen, Tiere und Pflanzen. Sellow reist oft allein und ohne festen Wohnsitz, wodurch er das Land intensiver kennenlernen kann als jeder andere. Er sammelt tausende von Tieren und Pflanzen und dokumentiert seine Eindrücke in erst kürzlich entzifferten Tagebüchern. Als talentierter Zeichner hält er Landschaften, Naturgegenstände und Porträts der indigenen Bevölkerung fest. Sein umfangreicher Nachlass umfasst über hundert Kisten. Tragischerweise ertrinkt Sellow mit 42 Jahren im Rio Doce, nachdem sein Boot einen Felsen rammt. Diese Erkundung Brasiliens ist das erste deutsche Werk über die Frühzeit der brasilianischen Entdeckungen. Es stellt Sellows Reisen in den Kontext anderer Expeditionen, bietet prächtiges Bildmaterial und präsentiert erstmals seine unerschlossenen Tagebücher, Texte und Bilder, die sein Leben und die Ergebnisse seiner Reisen dokumentieren.
Hanns Zischler erkundet eine Stadt, die in ihrer rasanten Entwicklung und Zerstörung einzigartig ist. Seit über vierzig Jahren bewegt er sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der S-Bahn durch Berlin und hat dabei eine besondere Perspektive auf die Stadt und ihre Geschichte entwickelt. Zischlers zentrale Beobachtung ist die Mischung aus Expansion, Größenwahn und Selbstzerstörung, die Berlin prägt. Dies zeigt sich etwa in der Zerstörung barocker Ensembles Unter den Linden durch die Pläne des Architekten Schinkel oder in den verheerenden Visionen des Germania-Plans von Hitler und Speer, die durch den Krieg verhindert wurden.
Zischler führt die Leser in ein weniger bekanntes Berlin, indem er seine Spaziergänge mit denen des Stadtgeografen Friedrich Leyden, der Dichterin Gertrud Kolmar und des Passfälschers Oskar Huth verknüpft. Anhand ihrer Aufzeichnungen entdeckt er ein untergegangenes Berlin. Besonders eindrucksvoll wird der Geist der Stadt spürbar, wenn er den Teufelsberg im Grunewald erklimmt, wo die Erde voller Scherben und Zinkblech von ehemaligen Mietshäusern ist. Zudem birgt der Teufelsberg ein noch größeres Geheimnis, das darauf wartet, entdeckt zu werden.
An einem kalten, klaren Wintermorgen sitzt sie plötzlich auf der roten Stiege zur Bibliothek: Lady Earl Grey. Die Treppenmaus zeigt dem Hausbesitzer Russla ihr angekokeltes Schwänzchen und trägt eine bittere Beschwerde vor: Gerade hatte sie es sich im Kamin zwischen den Holzscheiten bequem gemacht, da ging ihr Heim in Flammen auf. Nur mit knapper Not ist Lady Earl Grey der Feuersbrunst entkommen – und seitdem obdachlos. Zwischen Russla und der Treppenmaus entspinnt sich ein hintersinniges Gespräch über das Geschlecht und die Geschichte der Greys, über Ururgroßmutter Rosalin Duchess of First Flush, die in einem Haus im Haus gehaust hat, über Lady Earl Greys Stiefmutter, die Duchess of Darjeeling, über den Kater Rotpeter, den Scherenschleifer – und über das Leben und das Lesen. Lady Earl Grey erweist sich dabei als ebenso gewitzt wie weise. Kein Wunder, hat sie sich doch in der Bibliothek bereits durch die gesammelten Werke von Balzac geknabbert …
„Wir wollen alle Tage sparen / und brauchen alle Tage mehr“ – „Die Goldespforten sind verrammelt / Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt, / Und unsre Kassen bleiben leer.“ Schon vor knapp 200 Jahren ahnt der deutsche Weltenbürger Johann Wolfgang von Goethe, dass der Zeitstrudel des Reichtums und der Schnelligkeit zur Selbstentfremdung und zum Chaos führen muss. Vornehmlich der zweite Teil von Goethes „Faust“ lässt sich auch als beklemmend aktuelles Drama der modernen Ökonomie lesen, an dessen Ende der Turbokapitalist und Projektemacher Faust mit Philemon und Baucis das kulturelle Erbe fast gänzlich liquidiert. Hanns Zischler und Matthias Matussek im Gespräch über Goethe und das Geld.
Oktober 1904: Der 22-jährige James Joyce tritt im „gottverlassenen“ Pola an der Küste in Istrien seine Stelle als Englischlehrer an. Seine Ankunft wird in der lokalen Zeitung groß annonciert. Und Joyce wird unmittelbar Zeuge einer Reihe von spektakulären Ereignissen: die pathetische Inszenierung einer Gedenkfeier für die ermordete Kaiserin „Sisi“, die Aufführungen eines ambulanten Kinos, eine Flut von (Bild-)Nachrichten aus dem Russisch-Japanischen Krieg ... Diese allgegenwärtigen, bisher kaum beachteten „Vermischten Nachrichten“, „faits divers“, fanden Eingang in Tageszeitungen und Kinoprogramme, und verarbeitet tauchen sie u. a. im „Ulysses“ wieder auf, wie Hanns Zischler und Sara Danius nun erstmals zeigen.
Wenn das, was wir Zeit nennen, ein Strom von Ereignissen ist, die aus der 'Zukunft' in die 'Vergangenheit' strömen, ist die Photographie der Moment, in dem diese Ereignisse ans Licht treten. Im Gehäuse (Lichtreuse), das zur Domestizierung des Lichts entwickelt wurde, hinterlassen sie eine Spur oder den Abdruck einer Spur. Für den Aufnahmeprozess ist es gleichgültig, welches Gehäuse ich benutze. In den siebziger und achtziger Jahren war es vor allem die traditionelle glas-optische Photographie, während in den neunziger Jahren die pinhole-Camera hinzukam und um 2000 die digitale Fotografie dominierte. Die Wahl des Gehäuses geschah unbewusst, abhängig vom Aggregatzustand meiner Betrachtung – sammelnd, zerstreut oder von einem déjà-vu hypnotisiert. Die meisten Lichtbilder entstanden während meiner beruflichen Reisen. Eine beunruhigende Paradoxie dieser Aufnahmen ist, dass die Erinnerungen an die Orte und Bedingungen ihrer Entstehung oft ausgelöscht sind. Selbst beim Betrachten der Bilder kehren die Erinnerungen nicht zurück; sie scheinen in den Bildern versickert zu sein. Dieser Befund ist nicht verallgemeinerbar, sondern spiegelt lediglich meine geistige Verfassung und meinen Gemütszustand beim Betrachten wider.