Thor Heyerdahl
6. Oktober 1914 – 18. April 2002
Thor Heyerdahl (* 6. Oktober 1914 in Larvik, Norwegen; † 18. April 2002 in Colla Micheri, Andora, Italien) war ein norwegischer Forschungsreisender, Archäologe, Anthropologe, Ethnologe und Umweltaktivist. Er gilt als der Wissenschaftler, der die experimentelle Archäologie etablierte und einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte, sowie als einer der bekanntesten Vertreter des modernen Diffusionismus.
Thor Heyerdahl wurde in Larvik geboren, wo sein aus Christiania (heute: Oslo) stammender Vater eine Brauerei betrieb. Als einziger Nachkomme ältlicher Eltern wuchs er sehr behütet und verhätschelt auf, hatte aber auch große Freiheiten: Für Thors Sammlung von Kleintieren, Käfern, Insekten und Vogeleiern stellte der Vater auf dem Brauereigelände einen renovierten Raum zur Verfügung, den der Junge stolz „Zoologisches Museum“ nannte. Als Kind hatte er Angst vor dem Wasser, nachdem er zweimal beinahe ertrunken wäre. Sogar als Jugendlicher weigerte er sich, Schwimmen zu lernen, bis er 1937 auf Tahiti in einen reißenden Fluss stürzte und um sein Leben kämpfen musste.Für Sport, ausgenommen Laufen und Klettern, interessierte er sich im Gegensatz zu seinen Schulkameraden nicht, war aber gern mit Zelt und Schlafsack im nahen Gebirge unterwegs. Ola Bjørneby, ein erwachsener Einzelgänger, der auf der verlassenen Alm Hynna im Åstadal in einem Schafstall hauste und sich mit einem Mobiliar aus Baumstümpfen, Steinen und Tannenzweigen zu begnügen verstand, brachte den Jungen auf den Geschmack für ein Leben unter primitivsten Bedingungen. Bereits zu dieser Zeit entstand der ernsthafte Wunsch, einige Zeit in einer von der Zivilisation möglichst unberührten Gegend zu verbringen. Im Jahr 1933 begann Heyerdahl das Studium der Zoologie und der Geografie an der Universität Oslo. Seine Zoologieprofessorin Kristine Bonnevie befasste ihre Schüler aber auch mit physischer Anthropologie. Auch stand Heyerdahl die damals größte Bibliothek über Polynesien von Bjarne Kroepelien zur Verfügung. Der Student Heyerdahl war bereits vor seiner Abreise so belesen, dass er Vorträge über die Marquesas halten konnte. Am Weihnachtsabend 1936 heiratete Thor Liv Coucheron Torp, mit der er am nächsten Tag nach Tahiti aufbrach – zugleich Hochzeitsreise und Vorbereitung für das Staatsexamen über die Herkunft der dortigen Fauna. Die Reise ging zunächst über Marseille nach Tahiti, wo die gut vierwöchige Wartezeit auf einen Kopra-Schoner zur Weiterreise bei Häuptling Teriieroo, Kroepeliens Schwiegervater, verbracht wurde: Das junge Ehepaar wurde von Teriieroos Familie in die Lebensweise der Polynesier eingeführt. Ziel dieser ersten Reise war die Insel Fatu Hiva, auf deren Nachbarinsel Hiva Oa um die Jahrhundertwende Paul Gauguin einige Zeit verbracht hatte. Während des Aufenthalts wandte Heyerdahl sich zusehends der Ethnologie zu und begann die Herkunft der Insulaner „aus einem großen Land im Osten“ ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Im Frühjahr 1938 kehrte das Paar nach Norwegen zurück, wo im September Sohn Thor jun. geboren wurde. Heyerdahls Forschung zur Herkunft der Polynesier führte ihn 1939 nach Amerika. Aus Kroepeliens Bibliothek hatte er ein erstmals fächerübergreifendes Puzzle zusammengestellt, das als englischsprachiges Manuskript nahezu publikationsreif war: Polynesia and America. Der Reeder Thomas Olsen interessierte sich für Heyerdahls revolutionäre Idee und ermöglichte der Familie die Überfahrt nach Vancouver „für einen symbolischen Beitrag“. Nachdem Norwegen 1940 von deutschen Truppen besetzt worden war, saß die Familie zunächst ohne Geld in Kanada fest. Heyerdahl konnte nicht heimreisen, bekam aber auch keine Arbeitserlaubnis, weil er mit einem Studentenvisum eingereist war. Die Norweger waren auch „bestenfalls unwillkommen“, da in den USA und in der Folge auch in Kanada kolportiert worden war, Norwegen habe sich den Nazis freiwillig angeschlossen. Wieder griff der Reeder ein, indem er die Adresse seines Freunds in Erfahrung brachte und ihm von sich aus überlebensnotwendige Geldbeträge vorstreckte, bis dieser wieder selbst für seine Familie sorgen konnte. Um am Kampf für die Befreiung Norwegens teilzunehmen, meldete Heyerdahl sich freiwillig im norwegischen Rekrutierungsbüro, wofür er allerdings in die USA reisen musste: Der deutschstämmige norwegische Konsul in Kanada, von Stahlschmidt, half nicht. Nach einer Ausbildung zum Funker und im Fallschirmabsprung wurde Heyerdahl als Rekrut knapp vor Kriegsende kurzzeitig in der Finnmark eingesetzt, ohne einen Schuss abzugeben; kurz zuvor hatte er in England Knut Haugland kennengelernt, der sich wenig später auf der Kon-Tiki einfand. Im Jahr 1947 wies Heyerdahl mit der Kon-Tiki-Expedition nach, dass Balsaflöße und Schilfboote interkontinentale Kontakte bereits vor Kolumbus’ Zeiten ermöglicht haben konnten. Er initiierte eine Vielzahl weiterer Expeditionen und archäologische Projekte und wurde mit zahlreichen Medaillen und Preisen ausgezeichnet: Universitäten in Europa, Nord- und Südamerika verliehen ihm insgesamt elf Ehrendoktorate. Die Fahrzeuge Kon-Tiki und Ra II sind im Kon-Tiki-Museum zu besichtigen, das Teil des Norwegischen Seefahrtsmuseums in Oslo ist. Im Park Piramides de Güimar (Teneriffa) befindet sich ein weiteres, kleines Museum mit dem Nachbau eines Schiffes. Thor Heyerdahl starb am 18. April 2002 in seinem 88. Lebensjahr an einem Gehirntumor. Er weilte in Colla Micheri, Andora, Italien, wo er Ostern mit einigen seiner engsten Familienangehörigen verbrachte. Ein offizielles Staatsbegräbnis durch die norwegische Regierung fand am 26. April 2002 in der Kathedrale von Oslo statt. Sein Grab befindet sich im Garten des Familiengrundstücks in Colla Micheri. Thor Heyerdahl war dreimal verheiratet und zeugte fünf Nachkommen: 1936 mit Liv Coucheron Torp ( 1916; † 1969), Söhne Thor ( 1938) und Bjorn ( 1940). 1949 mit Yvonne Dedekam-Simonsen ( 1924; † 2006), Töchter Anette ( 1953), Marian ( 1957), und Helene Elisabeth, genannt Bettina ( 1959). 1991 mit Jacqueline Beer ( 1932).Einer der Navigatoren der Tigris-Expedition, Detlef Soitzek, benannte 1982 sein dreimastiges Traditionssegelschiff nach dem Forscher und Abenteurer.