Auf der Flucht vor den Deutschen gelangt Walter Benjamin im September 1940 auf einem alten Schmugglerpfad vom französischen Grenzort Banyuls-sur-Mer ins nordspanische Portbou. Tags darauf setzt er seinem Leben ein Ende. Acht Jahrzehnte später nimmt Marica Bodrožić den letzten Weg des großen deutschen Schriftstellers und Philosophen zum Anlass, um über unsere Zeit, die Komplexität von Lebensläufen und Identität, Freundschaft und Flucht nachzudenken. Für sie wird der Gang über die Pyrenäen zu einem luziden Denkweg, auf dem die Natur als synästhetisches Gefüge mitspricht. Die äußere Bergwelt verschmilzt mit der inneren Lebenslandschaft. Kunstvoll webt Marica Bodrožić in ihren Gedankenstrom die Schicksale auch anderer Intellektueller ein, die der Gewalt des 20. Jahrhunderts ausgesetzt waren – etwa der Widerstandskämpferin Lisa Fittko oder des Dichters Ossip Mandelstam. Entstanden ist dabei eine überzeitliche Wanderung durch die inneren Landschaften der Seele, die das schmerzverzahnte Gedächtnis mit dem leuchtenden Kern von Poesie verbindet. »Ein großes Projekt des Denkens ganz im Geiste Benjamins.« (Paul Reitter).
Marica Bodrožić Bücher
Marica Bodrožić ist eine Schriftstellerin, die sich in ihren Werken mit Themen wie Identität, Erinnerung und der Stellung von Minderheiten in der deutschen Gesellschaft auseinandersetzt. Ihr Schreiben zeichnet sich durch eine poetische Sprache und tiefe Einblicke in menschliche Erfahrungen aus, wobei oft der Kulturenkonflikt und die Suche nach Heimat im Vordergrund stehen. Bodrožić erforscht die Komplexität von Migration und Assimilation mit einem Gespür für Nuancen und persönliche Perspektiven.






Die Geschichte einer unmöglichen Liebe ... Die Tage sind eigentlich nie ungetrübt gewesen. Nadeshda dachte zwar, dass Ilja sie liebe. Voller Vorfreude fährt sie nach Amsterdam, nach Paris, um ihn immer wieder zu treffen. Sie hofft sogar, Ilja bald ganz an ihre Seite gezogen zu haben und kann sich nicht vorstellen, dass er sie verlassen und bei seiner Frau bleiben wird. Lange Zeit braucht sie, bis sie versteht, dass sie an Gefühle glaubte, die niemand mit ihr teilte, und noch viel mehr Zeit muss ver gehen, bis sie auf den Grund dieses Irrglaubens kommt: Sie kann sich nicht vorstellen, wer sie ohne diese Liebe überhaupt ist.
Mystische Fauna
Von der Liebe der Tiere
Während eines Aufenthalts auf der kanarischen Vulkaninsel La Gomera, den sie mit Schreiben und ausdauernden Naturbeobachtungen verbringt, wird Marica Bodrožić eines Tages gebeten, auf einen Hund aufzupassen. Innerhalb kürzester Zeit übernimmt er die Regie über ihre Tage und Wahrnehmungen. Ein überzeitliches Gespräch mit den vielen anderen Tieren ihres Lebens ist die Folge: Sie erzählt von der Gewalt des dalmatinischen Großvaters, der ihrem Kindheitshund Chio aus dem Nichts heraus ein Auge ausschlägt oder einen hungrigen Esel in eine tiefe Grotte stößt. Oder vom blinden mütterlichen Zorn in der hessischen Provinz, der aus dem Menschenkind ein Tierkind macht. Statt diese zugewiesene Tierwerdung jedoch als Herabsetzung zu empfinden, wird der Blick der Tiere zu einem Ort der Geborgenheit, der die Grenzen zwischen den Körpern aufhebt und neue Schwebeverhältnisse einleitet. So entsteht eine Reflexion über Mensch und Natur, und über Angst, Verletzlichkeit und Trauer, die, einmal durchschritten, ein Hohelied des Lebens einleitet. In Rückblenden, Erinnerungen und philosophischen Streifzügen erfolgt in diesem poetischen Gewebe eine Anrufung der Jetztzeit, in der die Tiere, anders als die Menschen, die reine Gegenwart sind.
Und ich -
20 Geschichten über Wendepunkte des Lebens | Mit Gabriele von Arnim, Zsuzsa Bánk, Marica Bodrožić, Isabel Bogdan, Ann Cotten, Mareike Fallwickl, Julia Friese, Olga Grjasnowa, Claudia Hamm, Stefanie Jaksch, Rasha Khayat, Christine Koschmieder, Jarka Kubsova, Daria Kinga Majewski, Judith Poznan, Slata
Die Anthologie "Und ich" versammelt Beiträge von 20 Autorinnen, die von Lebenswegen erzählen, die in Wendepunkte münden. Sie reflektieren über die Herausforderungen und Entscheidungen, die Frauen auf ihrem Weg begegnen. Inspirierende und aufrüttelnde Texte zeigen, dass es nie zu spät ist, das eigene Leben neu auszurichten.
Die gusseisernen Begriffe unserer Zeit, die sich so sehr auf der Seite des Guten wähnen, aber gar nicht mehr empfunden werden, zerstören das Gleichgewicht der Wahrheit und schicken Frequenzen der Störung aus, die sich etwa dann zeigen, wenn beispielsweise immerfort von Gleichberechtigung oder Solidarität gesprochen wird, ohne dass diese je eingelöst würden. Das entleerte Wort wird mit jeder Wiederholung nur noch leerer ins Gedächtnis eingepflanzt, bis es gänzlich in die Lüge kippt. Wer sich dieser gusseisernen Gesinnung der Leere hingibt, ohne selbst zu denken, stützt die Sprache der Lüge. Er sieht nicht mehr nach echter Sprache suchend in sich selbst hinein, sondern ertaubt mit der Zeit an der entleerten Wiederholung. Die Integrität der eigenen Wahrnehmung kann ihn dann auch nicht mehr stützen. Von einer solchen Verfasstheit regelrecht im Innen eingezäunt, ist keinerlei Aufbegehren mehr möglich - auch in sich selbst nicht.
Sterne erben, Sterne färben
- 153 Seiten
- 6 Lesestunden
Das Deutsche, ein »Gewirk aus Bewegungen, Tönen, Gerüchen, Kopf- und Körperhaltungen, aus Augenblicken, Augenfarben, Mundregionen und Wangenleuchten«: so sinnlich hat es sich dem neunjährigen Kind nach dem Umzug aus Jugoslawien dargestellt und gleich, trotz vieler Widerstände, wie ein »wärmendes Kleidungsstück« um sie gelegt. Lag es am Widerstand oder an der Wärme, daß Marica Bodroži? Schriftstellerin geworden ist? Der Abschied vom ersten Land war lange nicht vollzogen, ihre ersten Bücher Tito ist tot und Der Spieler der inneren Stunde zeugen literarisch davon. In Sterne erben, Sterne färben beschreibt sie ihren Weg von den Lücken zu den Wörtern, vom stockenden Atem zum Leben selbst.
Pantherzeit. Vom Innenmass der Dinge
- 262 Seiten
- 10 Lesestunden
Als im Frühling 2020 die Welt zum Stillstand kam und auch die Erde durchzuatmen schien, las Marica Bodrožić zwei Monate lang auf ihrem Balkon jeden Abend Rilkes Gedicht „Der Panther“. Wilder als alles Vergängliche, schreibt sie, der eigenen Eingesperrtheit zum Trotz, sei der Wunsch des Menschen in Freiheit zu leben. Was aber können wir tun, wenn wir gar nichts mehr tun können? Dieser hybride Text tastet die seelischen Landschaften ab, die nur ein radikaler Rückzug möglich macht. Offenbar werden dabei nicht nur die eigenen schmerzverzahnten Lebensthemen, sondern auch die daraus funkensprühende Sprache der Transzendenz. Marica Bodrožić ist schreibend den kathartischen Weg der Mystiker und Philosophen gegangen und hat, auf den geistigen Spuren u. a. von Teresa von Avila und Vladimir Jankélévich, den Eingang in ihre „innere Burg“ gefunden. Entstanden ist dabei eine philosophische Reflexion über die Kraft der Grenze und des Schweigens, über Nähe und Liebe, über die Erfahrung von körperlichem Schmerz und die hinter dem Schmerz sprechende Syntax der Heilung. Dieser Essay ist Anrufung und Gebet, eine Feier der Langsamkeit und Genauigkeit, ein Niederknien vor der Gnade und den Verwandlungen des Lebens. Hellfühlig, rigoros, poetisch und politisch zugleich erzählt dieser Text davon, auf welche Weise jeder einzelne Mensch zählt und dass sein Wert nicht verhandelbar ist.
Das Bewusstsein ist ein elastisches Gefüge, bevor es aber Sprache wird, muss es eine Reise durch den Körper machen. Marica Bodrožic legt in diesen Poetik vorlesungen ihren eigenen Denk- und Schreibraum frei und zeigt, auf welche Weise etwa die Hand an der „Republik der Poesie“ mitarbeitet. Leben und Schreiben, Leser und Autor bilden für sie in diesen sprachphilosophischen Umkreisungen eine Einheit, die sich vor dem Hintergrund der Stille ereignet. Das Erhören der Worte, die das Wesenhafte wieder hervor holen, ohne sich zu wiederholen, formieren einen geistigen Kern in diesen Betrachtungen und verweisen auf Autoren wie Francis Ponge oder Edmond Jabès, die diesen Kern mitgeformt haben. „Das Auge hinter dem Auge“ ist hier ein Verbündeter der schöpferischen Kraft und Synonym für das innere Schweigen, das am Geheimnis teilhat. Aus Schnittmengen von Schönheit und Sprache ergeben sich Spielformen des poetischen Erwachens und führen zu jenem "Fallschirmsprung aus dem Schlaf“, von dem Tomas Tranströmer spricht. Diese inneren Ereignisse beschreibt Marica Bodrožic sehr genau und zeigt, wie sich uns autonome Sprach(t)räume zusprechen, wie sie uns lesen und beschriften, während wir glauben, dass es sich umgekehrt verhält.
Kirschholz und alte Gefühle
- 219 Seiten
- 8 Lesestunden
Von den Rissen in unserem Bewusstsein. Von den Rissen in der Welt. Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien hat die junge Arjeta ihrer Heimat beraubt. Als sie bei einem Umzug alte Fotos findet, begreift sie mit einem Mal vieles, was ihr über ihre eigene Lebensgeschichte lange im Dunkeln geblieben war. So geht Arjeta noch einmal den Rissen in ihrem Bewusstsein, in ihrem Leben nach – und den Rissen in der Welt. Von vielem kann Arjeta Filipo sich trennen, vom Tisch ihrer Großmutter aber nicht. Jetzt sitzt sie an diesem Erbstück in ihrer neuen Berliner Wohnung und breitet darauf Fotos aus, die ihr beim Umzug in die Hände fallen. Die Erinnerungen steigen in ihr auf, als würde das Kirschholz alle Geschichten preisgeben, deren Zeuge der Tisch im Laufe der Jahre geworden ist. Da sind die belagerte Stadt und das Istrien, das Meer ihrer Kindheit und Jugend, ihre alles ändernde Flucht Anfang der 90er Jahre. Aber da ist vor allem auch ihre Zeit in Paris, wo sie Philosophie studierte und in einer neuen Sprache ein neues Leben begann – zusammen mit dem Maler Arik, in den sie sich wider Willen verliebt. Der Vogelkundler Mischa Weisband wird ihr weiser Vertrauter, die Physikerin Nadeshda ihre engste Freundin. Beide Frauen verbindet und trennt ein Geheimnis, das über Jahre hinweg nur Arik kennt. Erst als sich beide den blinden Flecken in ihrem Inneren stellen, gelingt es ihnen, den Weg zur Wahrheit zu finden. Eindrucksvoll erzählt Marica Bodrožic von Menschen, die Halt suchen in einer Welt voller Risse. Und die sich ihrer lange verdrängten Vergangenheit und den Zerrspiegeln ihrer Erinnerung stellen müssen – wenn sie wirklich im Hier und Jetzt leben wollen.
Tito ist tot
- 154 Seiten
- 6 Lesestunden
Sein Porträt hängt in jedem Klassenraum, sein durchdringender Blick beherrscht die Amtszimmer, Schusterläden und Metzgereien, und die Nachricht von seinem Tod erreicht auch jene abgelegene Gegend in Dalmatien, wo die Erzählerin ihre Kindheit verbringt. Widerwillig lässt sie die Schulfeierlichkeiten über sich ergehen, während der Großvater um den größten Verlust seines Lebens trauert: um Tito und Jugoslawien. Doch nicht die Politik und der sich abzeichnende Zerfall des Landes beschäftigen das Mädchen, sondern die Sommerlandschaft und ihre Bewohner: der Kriegsheimkehrer, der nicht weiß, dass der Kampf längst vorbei ist, und sich an einem Ast erhängt, der schönheitssüchtige Lilienzüchter, dem die Dorfbewohner aus Hass seine Felder zertrampeln, die junge Frau, die jahrelang vergeblich auf die Rückkehr ihres Bräutigams wartet, weil er im Ausland von einer Baustelle zur nächsten zieht. Das Leben der Gastarbeiterväter spielt sich in unbekannter Ferne ab, während die Kinder im Süden den Geheimnissen des Realen nachspüren, in unergründlichen Gärten und vergessenen Kellern. In Marica Bodrozics Texten ist es hell und auf zauberische Weise heiter. Ein mediterranes Licht liegt über den halb gebauten Häusern, den Schmetterlingswiesen und Zypressenhainen, die sie in ihren Erzählungen und Prosastücken beschwört.


