Im Essay „Conversation avec l’âne. Écrire aveugle“ von Hélène Cixous – nun erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Simma, mit einem kommentierenden Nachwort von Esther Hutfless und Elisabeth Schäfer – betont Hélène Cixous jene Dimension des Schreibens, die sich dem Ankommen des radikal Anderen öffnet, was als eines der zentralsten Themen der Dekonstruktion und ihrer Ethik gelten kann. Statt im Prozess des Schreibens auf das Sichtbare, das Offenkundige der uns umgebenden Welt zu fokussieren, geht es Cixous darum, sich dem Verborgenen zu nähern, dem Nicht-Sichtbaren, Nicht-Hörbaren, der Welt der Anderen, einzutauchen in eine Beziehung zum Anderen, in der eine_r nicht länger blind dem Anderen gegenüber ist, sondern sich des ganzen Sensoriums zum Anderen hin bedient. Damit kündigt sich die poetisch-wirksame Utopie einer anderen, einer Bedeutungen queerenden Welt an. Eben diese Annäherung an das Unbekannte, Noch-nicht-Benannte ist eine Bewegung, die jedoch selbst eines „blinden Schreibens“ bedarf, das eine sehende, ergo wissende, teleologische, auf das Objekt des Schreibens zentrierte Perspektive radikal hinter sich lassen will. Hélène Cixous betont – wie in vielleicht keinem anderen ihrer Texte – die immanente Verbindung von Widerstand und Schreiben. Und sie tut dies in einer radikal queer-poetischen Weise, die sich der Kraft der Sprache zur Transformation, zum Generieren neuer Bedeutungen verschreibt.
Hélène Cixous Bücher
Hélène Cixous ist eine Schlüsselfigur der poststrukturalistischen feministischen Theorie, deren Werke sich mit Feminismus, dem menschlichen Körper, Geschichte, Tod und Theater befassen. Ihr Schreiben zeichnet sich durch eine tiefe Auseinandersetzung mit Subjektivität und weiblicher Erfahrung aus. Cixous ist bekannt für ihren unverwechselbaren literarischen Stil, der oft Philosophie, Poesie und Autobiografie miteinander verknüpft. Ihr Einfluss reicht in zahlreiche Geisteswissenschaften hinein und inspiriert weiterhin neue Generationen von Gelehrten und Schriftstellern.






Bis zum letzten Wort hat Eve die Odyssee ihres Sterbens schon in die drei Hefte diktiert, aus denen H. dieses Epos hier abschreibt. Unverhoffte Hilfe findet sie dabei in Eves eigenen Heften aus ihrer Ausbildungszeit als Hebamme: Geburt ohne Schmerzen. Eve macht H. zur Mutter des 103 Jahre alten Kindes, das sie geworden ist. Nach dem entscheidenden Angriff der Armeen des Todes am 13. Januar ist medizinisch zum Leben nichts mehr da. Aber Eve ist das Leben selbst. Mit Hilfe der Hefte tastet sich das Buch durchs eisige Dunkel der geweiteten Zeit Zuspät, durch das blinde Jenseits der überzähligen Wochen, lange nachdem die letzte Stunde eigentlich geschlagen hat. Eve auf dem Rücken, in ihrer Barke für immer, erfindet für H. ein Sterben, das ein Bleiben ist. H. auf den Knien, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite des Pflegebetts, treidelt im Schlamm der Zeit ohne Datum. Jeden der zahllosen Tode hebt sie auf, jedes Gesicht und jeden der letzten Momente, den letzten Schluck Wasser, das letzte Wort, den letzten Kuss. Wie hätte sie heute zu sprechen vermocht, hätte sie nicht die Spalte von Mamans noch lauen Lippen mit ihren Lippen versiegelt, hätte sie nicht ihren Mund auf Eves Mund gelegt um leidenschaftlich seine neue Kälte zu kosten?
Insister
An Jacques Derrida
„Dies ist die Geschichte vom fliegenden Manuskript.“Insister - das mehrsprachige Titelwort nennt mit dem Insistieren und dem Insistierer auch die sister, die ihren Text Jacques Derrida widmet und den langjährigen Dialog oder vielmehr Polylog mit dem verstorbenen Freund fortführt. Das unverhoffte Wiederauffinden eines (im Buch mit abgebildeten) Manuskripts, der handgeschriebene Entwurf von Voiles. Schleier und Segel, den Derrida Cixous von einer Reise nach Südamerika aus zugesandt hatte, gibt Stoff zu einer philosophisch-poetischen Erkundung der Frage des Lesens, des lesenden Schreibens, des lesendschreibenden Gesprächs mit den hinterlassenen Worten, Stimmen und Sprachen des anderen.„Voir à lire auf das Lesen achten Achtung vor dem Lesen verlesen zerlesen mehrlesen überlesen unterlesen bezweifelesen verdoppelesen vergesslesen Voilà lire voile à lire. Leseschleier Lesesegel leg es aus leg ihn an.“Hélène Cixous, geboren 1937
Als Vordenkerin der feministischen Philosophie und Mitbegründerin der Reformuniversität Vincennes ist Hélène Cixous eine der zentralen Figuren des Postrukturalismus. Dieser Band lädt zu einer Wieder- und Neuentdeckung ihrer aufschlussreichen Betrachtungen des Lebens und der Kunst ein: Der Pinsel des Malers ist, wie der Satz des Schriftstellers, auf der steten Suche nach einer inneren Wahrheit, die nur erreichen kann, wer Vorstellungen von Hässlichem und Schönen zugunsten eines unverstellten Blicks auf die menschliche Ambivalenz transzendiert. Mit poetischer Eindrücklichkeit berichtet Cixous von künstlerischen Reisen zum Kern des menschlichen Wesens.
Trauerarbeit. Der Versuch, Licht in die Geschehnisse einer fernen Vergangenheit zu bringen. Mit der Erinnerung an die Geburt und den frühen Tod eines fremdartigen Kindes verknüpfen sich Fragen nach Erbe und Gedächtnis, nach Eugenik und Euthanasie, Schuld und Verdrängung und nach der Rolle der Schrift.
Ein Briefwechsel zwischen den Schriftstellerinnen Cécile Wajsbrot und Hélène Cixous über den Stellenwert Deutschlands und der deutschen Sprache in ihrem Werk sowie ihren Bezug zum Gedächtnis ihrer jüdischen Familien. Die in Frankreich aufgewachsene Cécile Wajsbrot lernte Deutsch in der Schule, um das Jiddisch zu verstehen, das ihre Großmutter sprach. Hélène Cixous, die ihre Kindheit in Algerien verbrachte, wuchs mit dem Deutsch ihrer Mutter und Großmutter auf – Sprache der Vertrautesten, Sprache von Geflüchteten, deren Kenntnis jedoch, einmal in der Schule, von der Deutschlehrerin angefochten wird. Unhintergehbare Mehrsprachigkeit, Sein zwischen den Sprachen und mit den Sprachen: Am Schnittpunkt von persönlichem und literarischem Zeugnis denken die beiden Autorinnen hier mit den vielsprachigen Stimmen ihrer Familien und der Literatur über Einschreibungen des Vergangenen in die Gegenwart nach, über den Umgang Frankreichs und Deutschlands mit der Geschichte, über vergangenen und drohenden Verlust. Sie geben ein anschauliches Beispiel dafür, wie das literarische Erinnern auf die Gegenwart antworten und diese auf eine Weise gedacht werden kann, dass sie ihre Verantwortung für die Zukunft wahrnimmt.
„Es geht um das Leben meiner Mutter, in Wahrheit, ums Leben, darum zu leben, von ihrem Überleben zu leben und sogar, was noch mehr ist, um ihr Überleben, ihre Weisen, sich selbst zu überleben und die Zeit.“In diesem Buch erkundet Hélène Cixous erstmals die facettenreiche Persönlichkeit ihrer Mutter, die in vielen ihrer nachfolgenden Werke einen wichtigen Platz einnimmt und deren Geburtsort Osnabrück, Stadt des Westfälischen Friedens, dem Band seinen Namen leiht. „Vor langer Zeit bereits ist dieses Buch aufgebrochen, Monate, Straßen, lang wie Nächte in fremden Ländern, ohne Züge, Städte in allen Größen, seit ein oder zwei Jahren durchwandert es das Mysterium der Zeiten auf den vier Kontinenten, die die Geschichte meiner Mutter tragen und sie gleichermaßen interessieren. [...] Doch bald schon entdeckte ich, dass es ein Kampf werden würde, dies Buch gegen sich selbst, und genauer noch ein Kampf meiner Mutter gegen meine Mutter, ich präzisiere: von Maman gegen meine Mutter und noch genauer ein in meiner Mutter selbst geführter Kampf, der sich über die ganze Erde hin erstreckte – die Erde, die sie ist –, zwischen Maman, meiner Mutter, Eve, unserer Mutter, Eva, Eva Klein, der Verlobten meines Vaters, und Eve Cixous, Hebamme, ein unausgesetzter Kampf so lebensnotwendig und stetig wie Herzschlag und Atem.“
„Es war vor dem Ende, du bist die Zeit, dachte ich, die Zeit vor dem Ende. Ich hatte noch nie eine so feine Pracht gesehen.“ Hypertraum erkundet die „letzten Zeiten“, zwischen zwei Toden, „vor danach und nach danach“. „Der Unterschied zwischen den allerletzten Zeiten und der letzten Zeit ist der, dass letztere ein Datum hat, die allerletzten aber nicht.“ Zeit der täglichen Salbung der Haut der fast hundertjährigen Mutter der Erzählerin. „Ich werde diese Haut morgen sein.“ Die mütterliche Haut salbend, schreiben diese Bekenntnisse („intus et in cute“) auch „die Haut des Jahrhunderts“, verwoben mit anderen Häuten vergangener Jahrhunderte, mit philosophisch-poetischen Träumen und Bekenntnissen, die mit der Triebkraft von Traum und Trauer arbeiten – wie Derridas Lektüre eines Traumes von Walter Benjamin in Fichus, datiert kurz vor und kurz nach 9/11. Weiterträumend gibt Hypertraum Zeugnis von einer einzigartigen Erfahrung: „In jenen Zeiten nun, in dem Augenblick, wo alles verloren ist, werde ich endlich die Antwort auf den Tod finden, den Weg des Glücks im Schmerz: Es ist etwas-anderes-als ein Traum, es ist der Hypertraum.“
Schreiben als Prozeß oder Ziel? Hélène Cixous zitiert Vergil, analysiert Rilke und entdeckt uns Clarice Lispector.
Die Erzählerin findet den Bericht ihres Großonkels Fred über seine Zeit im KZ Buchenwald und die Ereignisse der Nacht des 9. November 1938. Sie übersetzt das Dokument und verknüpft es mit den Erinnerungen ihrer Mutter sowie Berichten über den Synagogenbrand. Sie untersucht, warum einige Menschen blieben, während andere flohen.
