Als eine der interessantesten und innovativsten Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte zu Kafka kann die Dissertation von Joseph Vogl gelten, die hier nach Jahren neu aufgelegt wird. Immer wieder stößt die Lektüre von Kafkas Literatur in ihrer »Unruhe des Entzifferns« auf die Erfahrung unmöglicher Vermittlung, als deren Ende und Zeichen Vogl das Bild der Gewalt ausmacht: die Gewalt, die Kafkas Texte und Aufzeichnungen skandiert. Vogls luzide Überlegungen kreisen zum einen um die Bilder der Gewalt als Abbild etwa von Herrschaftsformen, Straftechniken und sonstigen »Beschädigungen«; zum zweiten um Gewalt als Ausdrucksmoment, d. h. Gewalt weniger in ihrer Wiedergabe denn als Medium einer Sprache des Leidens; und schließlich um die Gewalt als Kennzeichnung eines Verhältnisses der literarischen Sprache zu sich selbst. Es geht um die Formen der Inszenierung der Gewalt, um die ökonomische Erfahrung, die in die Materialität des Textes selbst hineinreicht, sowie um die Frage nach Art und Ort dessen, was als fremde Stimme aus den Texten spricht. Nicht die Rekonstruktion einer Einheit, eines Gesamtbildes, sondern gerade die Feldlinien, Umwege und Sackgassen in Kafkas Literatur sind es, die Vogl interessieren.
Joseph Vogl Bücher






Seit Jahrzehnten pflegen Alexander Kluge und Joseph Vogl ihren Ideenaustausch als kooperative Unterscheidungs- und Assoziationskunst. Wie bereits in dem Band Soll und Haben werden auch hier in einer Art liquidem Gedankentransfer die Realitäten am Literaturvorrat scharf gestellt, mögliche Zukünfte entlang von Geschichten neu kon ein auslotendes Vagabundieren, das vom Bau der Chinesischen Mauer bis ins Silicon Valley, vom »Roman der Börse« zum »unbeschriebenen Blatt Europa«, vom Boulevard Haussmann bis vor ein »Loch in der Wirklichkeit« führt.Dass diese Passion der zielführenden Abschweifung, des tastenden Vergegenwärtigens im Kopf des Lesenden äußerst elektrisierende Wellen schlägt, macht auch dieser Band Senkblei der Geschichten präsentiert eine Auswahl neuerer und neuester Gespräche bis in den April 2020 hinein. Ein erfrischendes Vademecum nicht zuletzt in unübersichtlicher Zeit, um angesichts eines »Zerfalls der Wirklichkeit« einen klaren Kopf zu bekommen.
Kapital und Ressentiment
Eine kurze Theorie der Gegenwart
„DICHT, ELEGANT, SCHWINDELERREGEND.“ STEFFEN RICHTER, PHILOSOPHIE MAGAZIN Es zieht sich eine Spur der Zerstörung von der Herrschaft der Finanzmärkte über die neuen Netzgiganten bis hin zur dynamisierten Meinungsindustrie. Auf der Strecke bleiben dabei Demokratie, Freiheit und soziale Verantwortung. Joseph Vogl rekonstruiert in seiner brillanten Analyse, wie im digitalen Zeitalter ganz neue unternehmerische Machtformen entstanden sind, die unser vertrautes politisches Universum mit einer eigenen Bewertungslogik überschreiben und über nationale Grenzen hinweg immer massiver in die Entscheidungsprozesse von Regierungen, Gesellschaften und Volkswirtschaften eingreifen.
Das Gespenst des Kapitals
- 223 Seiten
- 8 Lesestunden
Angesichts der turbulenten Ereignisse im Finanzgeschäft untersucht Joseph Vogl die Wahrnehmungsweisen, Theorien und Probleme des Kapitalismus. Finanzmärkte gelten als ideale Schauplätze für perfekten Wettbewerb und wirtschaftlichen Ausgleich, wo gewinnorientierte Akteure agieren. Spekulationsblasen und Crashs werden oft als Anpassungskrisen oder Ausnahmesituationen betrachtet, die auf irrationales Verhalten zurückzuführen sind. Der Essay stellt die Frage, ob diese irrationalen Exuberanzen tatsächlich Ausnahmen sind oder reguläre Prozesse im kapitalistischen System darstellen. Ist die Unterscheidung zwischen rational und irrational ausreichend, um die Effekte des Systems zu erfassen? Konfrontiert sich ökonomische Rationalität nicht mit ihrer eigenen Unvernunft? Funktioniert das System wirklich effizient und rational? Durch eine historische und theoretische Analyse wird der Zweifel an der liberalen Hoffnung auf die ausgleichende Kraft des Marktes, wie sie von Adam Smith formuliert wurde, beleuchtet. Kapitalismus kann nicht als reiner Rationalisierungsprozess verstanden werden, und Spekulation sowie Spekulanten sind keine bloßen Ausnahmen. Die Dynamiken der modernen Finanzökonomie, die sich auf eine ungewisse Zukunft konzentrieren, spielen eine zentrale Rolle. In den Märkten für Futures und Derivate wird die Zukunft zur unerschöpflichen Ressource. Ungewissheit und Instabilität prägen das System, und die Zukunft greift in die g
Über das Zaudern
- 127 Seiten
- 5 Lesestunden
Der Band dokumentiert die erweiterte Fassung der Antrittsvorlesung Joseph Vogls an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ausgehend von Freuds 'Moses des Michelangelo' entwickelt Vogl nicht nur eine Theorie des Zauderns, sondern stellt ein veritables Zaudersystem vor. Die Zauderfunktion tritt als kontrapunktischer Begleiter einer das Abendland prägenden Geschichte der Tat in Erscheinung. Dies lässt sich über die 'Orestie' und Schillers 'Wallenstein' bis zu den 'Titanen' des Zauderns im 19. und 20. Jahrhundert verfolgen – ob es nun Melvilles Bartleby ist oder Musils 'Mann ohne Eigenschaften'. Das Zaudern ist dabei keineswegs als simple Suspension des Handelns zu begreifen. Vielmehr markiert es die Schwelle zwischen Handeln und Nichthandeln, an der sich ein Zwischenraum reiner schöpferischer Potenz und Kontingenz auftut. In Form unrealisierter Varianten, die sich gleich einer 'Dunstschicht' um das Ereignis legen, lässt sich das systematische Zaudern methodisch für ein historisches und ästhetisches Untersuchungsprogramm reklamieren. Es erweist sich als Methode der Komplikation, mittels derer sowohl historisches als auch diskursives Geschehen auf seinen Nullpunkt zurückgeführt und in seiner Setzungsgewalt revidiert werden kann. Als Welthaltung, als Geste der Infragestellung werden das Zaudern und seine Pause schließlich zum Stützpunkt, zum Operationsfeld des Diskurses selbst.
Wirtschaftskrisen bieten die Chance zur Realisierung des politisch Unbequemen, formulierte Milton Friedman einmal. Die Finanzkrise hat in ihrer jüngsten Zuspitzung zu einer unverkennbaren Krise des Regierens geführt, zu einer Notstandspolitik in der Grauzone zwischen Wirtschaft und Politik: Die Regierungsgeschäfte haben Expertenkomitees, improvisierte Gremien und ›Troikas‹ übernommen, deren Legitimation der Ausnahmefall ist. Diese Entwicklung ist allerdings keineswegs neu. Wie Joseph Vogl in seinem neuen Buch zeigt, sind die Dynamiken des kapitalistischen Systems und des Finanzkapitalismus durch eine Ko-Evolution von Staaten und Märkten geprägt, in der sich wechselseitige Abhängigkeiten etablieren und verstärken. Vom frühneuzeitlichen Fiskus und dem Auftritt des privaten Financiers über die Entstehung von Zentralbanken hin zur Herrschaft von Finanzökonomie und »global governance« zeichnen sich Souveränitätsreservate eigener Ordnung ab, die autonom innerhalb der Regierungspraxis wirken und im Interesse privater Reichtumssicherung die Geschicke unserer Gesellschaften bestimmen: als ungenannte Vierte Gewalt im Staat. Die aktuelle Dominanz von Finanzmärkten wird so als jüngste Spielart einer Ökonomisierung des Regierens begriffen, in der die Verschränkung von Machtausübung und Kapitalakkumulation informelle ›Souveränitätseffekte‹ erzeugt.
Joseph Vogl untersucht in seinen Werken 'Das Gespenst des Kapitals' und 'Der Souveränitätseffekt' die Verbindung von Politik und Ökonomie im Kapitalismus. Er kritisiert die neoliberale Sichtweise und zeigt, dass die gegenwärtige Demokratiekrise aus einer langfristigen Ökonomisierung des Regierens resultiert. Sein Ansatz kombiniert tiefgehende Analysen mit literarischen Elementen.
Mit den Debatten um ›neue‹ Weltordnungen und Kriege hat sich am Beginn des 21. Jahrhunderts die Frage nach der Bestimmung des Politischen erneut gestellt. Das betrifft elementare Aktionsweisen der Politik und ihrer Protagonisten, aber auch eine politische Theorie, die seit geraumer Zeit schon ihre zentralen Kategorien überprüft und reformuliert. Dabei geht es um die Reichweite von Begriffen wie Feindschaft und Freundschaft ebenso wie um das Problem symbolischer Grenzen, die über das Verhältnis von Einschließung und Ausschließung, über die Herstellung politischer Einheiten entscheiden. Man kann darin die Frage nach einer politischen Wahrnehmung erkennen, die Frage danach, wie und wo die politische Sache sichtbar wird, sich feststellt und konstituiert. Am Beispiel unterschiedlicher Positionen und Autoren – von Friedrich Nietzsche bis Jacques Lacan, von Carl Schmitt bis Giorgio Agamben – unternehmen die Beiträge dieses Bands eine Positionsbestimmung politischer Theorie, die in verschiedenen Szenarien verhandelt wird: in der Frage nach Souveränität und Gesetzesmacht, nach Entscheidungsspielen oder den Prozeduren zeitgenössischen Managements. Mit Beiträgen von Joseph Vogl, Volker Gerhardt, Friedrich Balke, Petra Gehring, Ethel Matala de Mazza, Annette Bitsch und Dietmar J. Wetzel.