»Paul Nizon ist ein Schriftsteller allererster Ordnung, kraft seiner Einzigartigkeit heute vielleicht der größte im deutschsprachigen Raum«, schrieb Michel Contat in Le Monde anläßlich der französischen Ausgabe von Im Hause enden die Geschichten . Die deutsche Kritik hob bei Erscheinen der Erstausgabe 1971 seine Originalität hervor. Werner Weber schrieb in der Neuen Züricher Zeitung : »Nizon steht mit seiner Haus-Metapher in einer großen Tradition – nicht nachahmend, sondern eigentümlich ... Wieviel erfahrene Wirklichkeit darin ist und wieviel Vermögen, diese Wirklichkeit in ihrem Rhythmus zu zeigen- das mag man, vor jeder Analyse, daran ermessen: daß einen das Buch nicht losläßt.« Im Hause enden die Geschichten ist die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner. Aber was sich wie eine Idylle einführt, wird zu einem Abnormitätenkabinett; das Haus gerät zur unwohnlichen Metapher für dumpfe Eingeschlossenheit: »Dies ist dein Haus. Da mußt du hinein. Da verschwindest du abends: geduckt, falschblickend, neidisch und haßerfüllt. Da gehörst du hin. Deine Gerüche, dein Zwielicht, deine Umstände. Hinein ins Haus, das dich erwartet.«
Paul Nizon Bücher






Soldaten. Der Marschierer. Freund. Epitaph auf einen dicken Mann. Die Gärten des Glücks. Die Nackte und ihr
Untertauche n erzählt die Geschichte eines jungverheirateten Mannes, der im Auftrag einer Zeitung nach Barcelona reist. Er ist noch nie in Spanien gewesen, hat aber schon beim Betreten der Stadt das beirrende Gefühl, zurückzukommen. Was sich wie ein spanisches Abenteuer einführt, gedeiht zum Trauma eines Reisenden, der unversehens aus der Helligkeit alltäglicher Ordnung in eine Dunkelzone gerät, in der er die bestürzende Erfahrung der Austauschbarkeit aller Bindungen macht.
Taubenfraß versammelt an verschiedenen Orten publizierte und bisher unveröffentlichte Essays und Gespräche, in denen Paul Nizon, »der Verzauberer, der zur Zeit größte Magier der deutschen Sprache« (Le Monde) , Auskunft über sein Selbstverständnis als Schriftsteller und zu den Grundfragen seines Werks gibt. Neben den autobiographischen und autopoetologischen Äußerungen, die den produktiven Zusammenhang von Schreiben und Leben dieses »vorbeistationierenden Autobiographie-Fiktionärs« erhellen, stehen Texte zu dem Themenkreis Stadt- Fremde - Sprachheimat, zu seinem Verhältnis zur Kunst und zum Film sowie zu seinen literarischen Vorbildern. Taubenfraß erscheint begleitend zu Nizons Gesammelte Werke und eignet sich vorzüglich als ein erster Einstieg in sein Œuvre.
Es gibt Bilder, die nichts anderes als ein Ereignis sind – Bilder, die beim Betrachter einen Sturz in die tiefste Erinnerung auslösen, die Erinnerung an den erschütternden Traum, den man hatte und eben verliert; Bilder, die einer Offenbarung gleichkommen, uns in einen Zustand der Beteiligung versetzen, der mit Erleuchtung, mit Liebe zu tun hat. Francisco Goya hat viele dieser Art Bilder gemalt. Aus welchem Stoff ist ein Künstler gemacht, der solches vermag? Paul Nizon, »der Verzauberer« (Le Monde), erzählt Goyas Leben: als Magier der Maskerade und Meister der Entlarvung, als Schwarzmaler und schönheitstrunkener Hellseher. Und in seinen ebenso verblüffenden wie berückenden Bildbeschreibungen zeigt Nizon, wie dieser »Fürst der Schöpfung, der alles, was seine Hand berührte, zum Leben erweckte«, zuletzt reine Existenz, reine Essenz auf die Leinwand bannte: »ein Donnerhall der Ewigkeit in der Schwindsucht der Gegenwart«.
Paul Nizons Bücher handeln vom Kampf des Schriftstellers um den Roman, von totalem Einsatz, vollständiger Einsamkeit, vom Überdauern und Resistieren. Sie handeln von Körperlichkeit, Erotik, Passionen, sie jagen dem Atem des Lebens und dem Glück nach. Der 1929 in Bern als Sohn eines russichen Emigranten und einer Bernerin geborene Nizon investierte alles ins Schreiben und blieb dem Unterwegssein verpflichtet. Canetti war sein Trauzeuge, Siegfried Unseld sein Verleger, Frisch und Dürrenmatt seine Freunde. Sein Roman „Das Jahr der Liebe“ wurde in Frankreich als bestes fremdsprachiges Buch ausgezeichnet und wird gerade verfilmt. „Die Republik Nizon“ beleuchtet bislang unbekannte Facetten des Lebens und der Poetik dieses Solitärs in der deutschsprachigen Literatur. Das Buch wird ergänzt durch einen Essay zu Leben und Werk des Autors von Stefan Gmünder (Literaturredakteur der Zeitung Der Standard), durch zahlreiche Photographien und eine umfangreiche Bibliographie. Die Gespräche führte der belgische Journalist Philippe Derivière, die Übersetzung besorgte Erich Wolfgang Skwara.
Abschied von Europa
- 48 Seiten
- 2 Lesestunden
»Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen«, heißt es. Was aber ist, wenn man nichts zu erzählen weiß, wenn die Erfahrung der Fremde so überwältigend ist, daß sie einem die Sprache verschlägt? Und was ist, wenn dies ausgerechnet einem Schriftsteller widerfährt? So erging es Paul Nizon nach seiner Reise durch Südostasien. Dieser »Abschied von Europa«, der in das westliche Sumatra, den Norden Thailands, an das Ufer des Mekong und an den Golf von Siam zu Menschen führte, die noch abseits unserer Zivilisation leben, sollte nichts weniger bewirken als eine Verwandlung. Das tat er auch, freilich anders als ersehnt: Wie ein Traumwandler, der »vor dem Neuen mit Blindheit geschlagen« erst wieder sehen lernen mußte, durchstreifte er, im Würgegriff der Natur und des Klimas, die Tropen. Erst viele Jahre später fand er eine Sprache – berückend schön – für seine Erfahrungen, die so in keinem Reiseführer stehen: »Morgen werde ich mich an jene Reise erinnern, dann wird sich schon etwas regen von damals oder melden in einem Traum, und im Traum werde ich mich erinnern an etwas und mir sagen, jetzt war ich im Traum da, welch ein Traum!«
Am Schreiben gehen
Frankfurter Vorlesungen
Paul Nizon hat, als Gastdozent für Poetik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt im Sommer 1984, seine Vorlesungen unter den Titel gestellt: »Am Schreiben gehen«. Mit dieser Formulierung bezieht er sich auf seine Art »Schreibfanatismus«, seinen »Krückstock«. »Weder Lebens- noch Schreibthema, bloß matière, die ich schreibend befestigen muß, damit etwas stehe, auf dem ich stehen kann.« Er versteht sich als einen »vorbeistationierenden Autobiographie-Fiktionär«. Das Passantische im Wort »vorbeistationieren« meint ein »vorübergehendes Ansässigsein«. Der Begriff »Autobiographie« zielt auf »das eigene Leben und dessen Ablagerungen«. Dem Autobiographischen übergeordnet ist die Fiktion; denn »wenn es gelingen soll, Stoffe in einen autonomen, einen von Anlaß und Autoren abgelösten eigenlebendigen Organismus zu verwandeln – dann wird das Finden ganz von selbst zum Erfinden und damit zur Fiktion, ja möglicherweise zur Utopie«.