Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften – die Summe der jahrzehntelangen ethnopsychoanalytischen Forschungen und der psychoanalytischen Praxis von Georges Devereux – ist eine Kritik der verhaltenswissenschaftlichen Methodologie, die zu objektiver Erkenntnis zu gelangen glaubt, indem sie die Subjektivität des Forschers ausschaltet. An einer Fülle von Beispielen aus allen Bereichen der Humanwissenschaften und der Literatur zeigt Devereux demgegenüber, daß die Reaktionen des Verhaltenswissenschaftlers auf sein Material und auf seine Arbeit als die elementarsten Daten aller Verhaltenswissenschaft zu behandeln sind. Devereux fragt, nach welchen Regeln das zu untersuchende Objekt konstituiert wird, und liefert den Nachweis dafür, in welchem Maße die Angst des Beobachters den Erkenntnisprozeß und damit die Vergegenständlichung des Beobachteten beeinflußt. Die Verhaltenswissenschaften sind sowohl in ihren Methoden wie in ihren Ergebnissen eher ein Produkt der Angst vor dem Erkenntnisobjekt als der »Liebe zur Wahrheit«.
George Devereux Bücher






In dieser Arbeit wird beschrieben, wie ein Prärieindianer mit einer komplizierten Symptom-Neurose im Verlauf einer Psychotherapie, die als Forschungsprojekt durchgeführt wurde, seine Wiederherstellung erlangte. Devereux schildert zunächst die Situation, in der sich das Leiden des Patienten entwickelte. Daran schließen eine detaillierte Auseinandersetzung an mit der prärieindianischen Kultur und eine theoretische Erörterung der Probleme kulturübergreifender Psychiatrie, der Bewertung von Symptomen unter einem kulturübergreifenden Aspekt, der Bedeutung des Verwandtschaftsmodells als Hintergrund für die Therapie, der Übertragungsprobleme, der Verwendung von Träumen und der gewählten therapeutischen Ziele. Dann kommen die Patientengespräche selbst, dreißig an der Zahl, wiedergegeben aus den Aufzeichnungen des Anthropologen, in denen er die Sitzungen fast Wort für Wort festgehalten hat. Als Forschungsprojekt war diese Psychotherapie Teil einer Untersuchung über die Rolle kultureller Faktoren bei der Ätiologie, Symptomatik und Therapie von Persönlichkeitsstörungen. Ihr Ziel bestand in der Entwicklung spezieller Techniken zur Behandlung solcher Störungen bei Personen, deren kultureller Hintergrund und ethnische Persönlichkeitsstruktur von den Patienten des »typischen« Therapeuten der amerikanischen Mittelklasse abweichen.
Diese Untersuchung basiert auf der These, dass der Ort großer Dichtung am Schnittpunkt kulturell definierter künstlerischer Ziele und psychologischen Realismus liegt, der das zeitlose Unbewusste widerspiegelt. Devereux begegnet dem Einwand, dass fiktive Personen und antike Dichter nicht psychoanalytisch interpretiert werden können, mit einem radikalen textkritischen Ansatz. Die Überlieferungsgeschichte der Texte wird als psychologisch darstellbare Geschichte von Fehlleistungen und Verdrängungen betrachtet. Zur Überprüfung der Kriterien für Traumauthentizität gehört nicht nur die inhaltliche Trauminterpretation, sondern auch die Geschichte der Textüberlieferung sowie die philologischen und literaturwissenschaftlichen Kontroversen. Der „Analysand“ ist nicht der fiktive Träumer oder Dichter, sondern der Text selbst, wodurch das Buch keine klassische Psychoanalyse darstellt, sondern eine auf Konstruktion basierende „Quasi-Psychoanalyse“. Die verwendeten Elemente und Werkzeuge stammen aus drei normalerweise getrennten Disziplinen: Altphilologie, inhaltlich orientierte Literaturwissenschaft und Psychoanalyse. Durch enge Zusammenarbeit mit führenden Gräzisten und umfassende Berücksichtigung relevanter Literatur aus diesen Disziplinen gelingt es Devereux, eine interdisziplinäre Gesamtsicht zu erreichen, die oft nur als Postulat besteht.
Normal und anormal
Aufsätze zur allgemeinen Ethnopsychiatrie
Zentraler Gegenstand der von Georges Devereux entwickelten Ethnopsychiatrie ist die Kultur als ein standardisiertes System von Abwehrmechanismen. »Devereux entwickelt diesen Ansatz in einer kritischen Analyse des traditionellen Trauma-Konzepts. Galt bisher das Trauma als Folge von Streßsituationen an sich, d. h. von schädlichen Kräften, die auf das Individuum einwirken, so hebt Devereux hervor, daß ein Streß nur dann traumatisierend wirke, ›wenn die Kultur keinerlei vorherbestimmte, in Serie produzierte, Abwehrmechanismen zur Verfügung stelle‹. Der eminente Wert von Devereux᾿ Leistung besteht nicht nur darin, daß er theoretisch ein neues Gebiet eröffnet hat, sondern vor allem darin, daß er seine Theorien immer in bezug auf die Praxis des Psychiaters oder Ethnologen entwickelt.« (Mario Erdheim)