Costa Rica
- 312 Seiten
- 11 Lesestunden






Mit der fortschreitenden Ausbreitung der Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts verbleiben auf der Weltkarte zwei blinde Flecken: das Innere Brasiliens und Borneo. Bis 1980 dominierte das Bild von Brasilien als Land, in dem die Moderne an ihre Grenzen stieß. Der Bau Brasílias oder der Karneval in Rio de Janeiro dienten als Bestätigung. Im Zuge der ökologischen Krise rückte der brasilianische Regenwald ins Bewusstsein als zentrale regulative Region. Bis zum Staatsputsch 2016 galt Brasilien neben China und Indien als aufsteigende Macht des 21. Jahrhunderts. Heute ist unabsehbar, wann Brasilien seine Unabhängigkeit in der globalen Welt wieder erlangt. Im Fokus der interdisziplinär und wissenschaftsgeschichtlich ausgerichteten Studie stehen die Trajekte der als neue Argonauten in die letzte terra incognita fahrenden jungen Wissenschaftler der innovativen Sciences sociales et humaines: Fernand Braudel, Claude und Dina Lévi-Strauss. Das gesuchte neue goldene Vlies in Kolchis, das Brasilien in den 1930er Jahren für diese Argonauten repräsentierte, liefert Schlüssel für die eigene Geschichte, ermöglicht Schritte zur globalen Vernetzung und bietet Lösungen für das Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur, an dem die Moderne litt.
„Samba, Zuckerhut und andere Siegel für Brasilien“ will erklären, warum Samba, dieses Mysterium aus Körper, Stimme, Naturkräften und Betörungstechniken, bis heute eine Faszination auslöst, die schon Wittgenstein und Ken Russell bei Carmen Miranda empfanden. Und will angesichts der Tatsachen, dass Samba in den dreißiger und vierziger Jahren zum nationalen Symbol avancierte und Brasilien 2015 die fünfte ökonomische Weltmacht sein wird, einen Schlüssel liefern, um zu verstehen: Was ist Brasilien? Samba ist Brasilien, doch das Selbstbild, das sich darin chiffriert, bleibt für Europäer ein Buch mit sieben Siegeln. Hier wird klar, wie aus dem einst größten Kaffeeproduzenten der Welt mit dem tropisch-urbanen Produkt Samba ein modernes Land wurde, dessen Präsident 1955 den großen Sprung nach vorn - fünfzig Jahre in fünf - vollzog und die neue Hauptstadt Brasília aus der Retorte weitab vom Zivilisationsgürtel baute. Und wie trotz des Militärputschs 1964 die sechziger Jahre zur unvergleichlichen Glücksperiode deklariert wurden. Wie wird Brasilien jetzt die große Herausforderung meistern, sich im Spannungsfeld von global und lokal wieder neu zu erfinden?
Die Entwicklungen in Lateinamerika, insbesondere in Mexiko und Brasilien sowie in Spanien und Portugal, von Ende der 80er Jahre bis heute bilden die räumlichen und zeitlichen Koordinaten der Essays. Gegenstand der Darstellungen und Diagnosen, Analysen und theoretischen Entwürfe sind literarische, kulturelle Prozesse und fiktionale Texte, Bilder sowie wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungen, deren Tragweite erst in jüngster Zeit gesehen und thematisiert werden kann. An der Nahtstelle von Semiotik und Philologie, Sozial- und Geschichtswissenschaften, Ästhetik und „Visual Culture“ wird der Versuch unternommen, transdisziplinäre Verfahren für die Literatur- und Kulturstudien Hispanoamerikas, Brasiliens, Spaniens und Portugals zu erproben. Sie nehmen Bezug auf die Kulturtheoriebildungsprozesse - die unter dem Zeichen von Alterität und Hybridisierung stehen -, auf den Wandel der Formen von Identitätskonstruktionen, auf die Veränderungen des Status der Intellektuellen.
Die Autorin beschäftigt sich in diesem Buch mit acht exemplarischen Romanen d. bras. Gegenwartsliteratur, die sie in ihrer spezifisch brasilianischen Perspektive vorstellt und mit Werken von Autoren anderer Kulturräume vergleicht.