"Das ist eine alte Krankheit"
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Die Krankheit Epilepsie besitzt neben ihren vielfältigen biologischen Aspekten eine erhebliche sozialkulturelle Bedeutung. So gehören zu den vielfältigen gesellschaftlichen Reaktionen, welche die Realität der Epilepsien wesentlich mitbestimmen, auch ihre zahlreichen Darstellungen und Deutungen in Literatur. Werken, die von Epilepsie mit all den Vorurteilen und Klischees reden, die den Erkrankten das Leben oft viel schwerer machen als die Anfälle selbst, stehen einfühlsame Schilderungen gegenüber, von denen einige - zum Teil aus eigener Erfahrung der Autoren - auch etwas von der Faszination durch ungewöhnliche Gefühle und Wahrnehmungen vermitteln, die manche Patienten im epileptischen Anfall erleben. Die Epilepsie-Thematik in der erzählenden Literatur kann und soll nicht den Anspruch haben, medizinisch relevante Sachverhalte darzulegen; ihre Aufgabe ist - ähnlich wie die der Malerei - eine andere: Sie gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern sie macht sichtbar! Epilepsie in der Literatur ist ein vielfältiges Thema, das in den vorliegenden Studien zur Darstellung und Deutung kommt: Phänomenologie, Ätiologie, Diagnose, Therapie, Arzt, Patient, soziale Reaktion und Symbolik sind die entscheidenden Dimensionen, die in den literarischen Texten auf je spezifische Weise aufgegriffen werden - abhängig von dem Stil des Schriftstellers, geprägt von der künstlerischen Gattung, beeinflußt von der kulturellen Epoche. Literatur stellt bei allem Bezug zur Realität zugleich eine eigene Seinsweise dar, mit einer eigenen Sprache, eigenen GeSetzen und einer eigenen Tradition. Die Qualität eines Kunstwerkes mißt sich keineswegs nur an der Übereinstimmung mit der Realität oder mit den jeweils modernen Erkenntnissen der Medizin in Diagnostik und Therapie. Das Verhältnis von Literatur, Medizin und Realität ist ein komplexes Verhältnis der Identität und Differenz. Die literarische Wiedergabe der Epilepsie - in den angeführten verschiedenen Dimensionen - besitzt eine substantielle Bedeutung für die Medizin wie die Gesellschaft. Medizinstudent, Arzt und Pflegekraft können durch Literatur zu einem ganzheitlichen Umgang mit dem Epilepsiekranken angeregt, jeder Leser kann durch die Lektüre zu einem besseren Verständnis des Epilepsiekranken und einer solidarischen Anteilnahme an seinem Schicksal bewegt werden. Auch der Betroffene wird durch die Beschreibung von „Leidensgenossen“ und ihren Erfahrungen und Bewältigungsstrategien Anregung, helfende Hinweise, ja vielleicht sogar Trost erfahren können.