Das Substanz-Mädchen
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12. Juni 2006. Er hilft mir ins Sakko. Schiebt langsam meine Haare zur Seite. Ganz langsam. Küßt mich in den Nacken. Zart. Mein Kopf fällt kontrolliert in Zeitlupe nach vorn. Von Kopf bis Fuß. Der Kuß. Der Mann gehört zu den Leuten, die „man eigentlich nicht kennt.“ Er war Zuhälter, Totschläger, Dieb. Ist jetzt Journalist und Schriftsteller. Plus Mann. Stahlbeton zerfällt zu Staub. Wird pulverisiert. Ich schließe die Augen. Alles ist gut. 1973. Ich bin fünf. Auf dem Spielplatz sagt ein anderes Kind „Du blonde Hure“ zu mir. Beim Heimkommen ins Reich frage ich meine Mutter: „Mama, was ist eine Hure?“ Sie fährt mich an: „Wo hast Du das her?“ Klar. Ich bin erstmal die Hauptverdächtige. Wenn jemand anderes etwas sagt. Wahrscheinlich denkt sie, ich war gerade verbotenerweise in einer verruchten Hafenspelunke. Die in oberbayrischen Dörfern recht häufig sind. „Vom Spielplatz“, antworte ich. Ich sehe, es ist ihr peinlich. Zögernd sagt sie: „Stephanie, das ist ganz was Schlimmes. Das sind Frauen, die sich für Geld an Männer verkaufen.“ Aha. Ich gehe ins Zimmer. Setze mich aufs Fensterbrett. Der Dorfanger. Ich räsoniere. Die Frau verkauft sich, der Mann gibt ihr Geld. Die Frau gehört jetzt dem Mann. Dann müsste doch eigentlich das Eigentum der Frau auch dem Mann gehören. Das gerade gegebene Geld. So wird es sein. Ein blödes Geschäft für die Frau. Kein Geschäft. Und sie gehört jetzt auch noch jemandem.