Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig
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Historismus, Gründerzeit, Wilhelminismus – kein anderes sich dem Ende zuneigendes Jahrhundert vereint solch synonyme Vielfalt mit höchst widersprüchlicher Wertschätzung. Triumphbogen und Obelisken waren am 31. Oktober 1888 in Leipzig der Rahmen für das imperiale Schauspiel der Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung des Reichsgerichtsgebäudes in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. Sieben Jahre danach erhob sich an gleicher Stelle der Monumentalbau des Reichsgerichts, international beachtet und als Zeichen für Rechtstaatlichkeit und richterliche Unabhängigkeit. Beides ging in Krieg und Diktaturen verloren. In den fünfziger Jahren wurde das kriegsbeschädigte Gebäude wiederaufgebaut. Dabei fielen die Häupter der Kaiserskulpturen und sie selbst aus den Nischen neben dem Portikus. Ihre Kronen wurden getilgt und das Museum der bildenden Künste fand hier eine neue Heimstatt. Dank politisch motivierter Erinnerungskultur waren bauliche Schäden reparierbar. 2002 zog das Recht mit dem Bundesverwaltungsgericht wieder unter der die Kuppel krönenden Wahrheit ein. Seither sind die Kaiserkronen am historischen Platz. Manch Bedeutsames wurde rekonstruiert, auf manches bewusst verzichtet und anderes hinzugefügt. Unbeschadet und weitgehend unbeachtet blieb über all die Zeiten der baukünstlerische Anspruch der Architektur. Der Architekt Ludwig Hoffmann sah seine Arbeit dem Ideal des Gesamtkunstwerks verpflichtet. Seine Studienreisen führten ihn durch Europa. Italien hinterließ hier den nachhaltigsten Eindruck. Architekturgeschichte wurde studiert, die italienische Renaissance verinnerlicht und den fiskalischen Zwängen eines preußischen Staatsbaus unterworfen. Die damals der Deutungshoheit über Architektur und Figurenprogramm gewidmete Aufmerksamkeit unterstreicht die gesellschaftliche Wahrnehmung von Architektur, die es auch heute noch zu pflegen gilt. So soll dieser „Architekturführer“ über das Leipziger Reichsgerichtsgebäude die baukünstlerische Leistung in ihrer facettenreichen Entwicklung erhellen. Steffen-Peter Müller dokumentiert Planungsvarianten und Baugeschichte, und er beschreibt die Fassaden sowie die inneren Räumlichkeiten.