Vom heldenhaften Führer zum einsamen Deserteur
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Diese motivgeschichtliche Analyse vergleicht Männlichkeitsentwürfe in der Literatur zum Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Hauptthese lautet, dass zentrale literarische Motive, die Männlichkeit in Werken zum Ersten Weltkrieg konstruieren, auch in der Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen werden. Die untersuchten Primärtexte für die Zeitperiode Erster Weltkrieg (Walter Flex, Ernst Jünger, Erich Maria Remarque) können entweder als Kriegs- oder als Antikriegsliteratur interpretiert werden. Die Texte aus der Zeit nach 1945 (Heinrich Böll, Alfred Andersch, Franz Fühmann) gelten durchweg als Antikriegsliteratur. Welchem Wandel sind die literarischen Motive unterworfen, so dass sie auch nach diesem Bewertungswechsel wieder Eingang in die Literatur finden? Handelt es sich dabei um eine innovative Strategie der Autoren? Ein ganzer Komplex von Motiven dient der Inszenierung männlicher Identitäten. Der einsame Soldat auf Wacht, der charismatische (An-)Führer oder der sich aufopfernde Held, zählen dazu. Die sozialen Beziehungen des Mannes lassen sich in unterschiedlichen Varianten thematisieren: Wird Sexualität exzessiv praktiziert oder verdrängt in anderer Form ausgelebt? Wie fügt sich der Mann in eine Gemeinschaft, hier besonders die Kameradschaft und Hierarchie unter Soldaten, ein? Im ersten theoretischen Großkapitel dieser Arbeit werden die für die Themenstellung wichtigsten Ansätze aus der Soziologie, der Geschichtswissenschaft und Klaus Theweleits zweibändige Arbeit ‘Männerphantasien’ in ihren Grundzügen vorgestellt. Die grundlegenden Gemeinsamkeiten dieser diversen Perspektiven auf die Konstruktion von Männlichkeit liegen in ihrer Fokussierung, auf den Gegensatz vom Mann zur Frau und die ‘Medien’ der Männlichkeit, von der Gewalt oder Sexualität im weiteren Verständnis bis zur Literatur im eingeengten Sinne des Begriffs. Zum Zeitpunkt der Abfassung ihrer Werke traten alle Autoren der Primärliteratur als Agenten diverser Deutungs- oder Legitimierungsversuche auf. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hat in der Literatur zu einer radikalen Umdeutung des Kameradschaftsgedankens und des Feindbilds geführt. Dass gebrochene oder schuldige Helden keinen Führungsanspruch und das Kollektiv der Kameradschaft die unbedingte Hingabe des Individuums nicht mehr verdienen, stellt eine Innovation der Autoren dar, die sich seit Remarque gegen die kriegsverantwortlichen Autoritäten oder die Väter zu emanzipieren versuchen. Höchster Ausdruck der Abkehr ist die mit der Todesstrafe sanktionierte Desertion. Der verbrecherische Krieg des Jahres 1939 setzt in sowohl pervertierter Form als auch unter einem von den Nationalsozialisten proklamierten Sukzessionsanspruch den Krieg von 1914 fort. Die literarischen Annäherungen an den ersten Weltkrieg verlieren damit die Basis ihrer Legimitierungsfunktion im Diskurs.