Antiker Tourismus in Kleinasien und den vorgelagerten Inseln
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Tourismus – im Sinne von „Sehenswürdigkeiten besichtigen“ – ist keine neuzeitliche Erscheinung. Wer in der Antike aus welchem Anlass auch immer eine Reise unternahm, nutzte sie ebenfalls häufig zum „Sightseeing“. Diese Arbeit untersucht erstmals für die Antike die Gründe, weshalb sich ein Denkmal zu einer Sehenswürdigkeit von überregionaler Bedeutung entwickelte, ein anderes hingegen nicht. Sie beleuchtet das Wechselspiel zwischen dem Anspruch der lokalen Bevölkerung, eine Sehenswürdigkeit vorweisen zu können, und dem Bedürfnis der Reisenden, sich – gerade in der Fremde, wo die eigene Identität prekärer ist – ihrer selbst zu vergewissern. Die systematische diachrone Studie behandelt einen der wichtigsten touristischen Großräume der antiken Welt: Kleinasien und die vorgelagerten Inseln galten wegen der dort gelegenen Städte, reichen Kunstschätze und Naturdenkmäler als besonders sehenswert. Einige davon zählten zu den touristischen ‚Highlights‘ des Altertums. So war Troia/Ilion als Erinnerungsort par excellence das vielleicht bedeutendste Reiseziel der Antike – obwohl es nach Aussage antiker Autoren dort eigentlich nichts Herausragendes zu sehen gab. Die Aphrodite von Knidos faszinierte durch ihre sexualisierte Aura, die sie gleichsam auf die ganze Stadt übertrug. Und im phrygischen Hierapolis zog eine giftige Dämpfe ausdünstende Höhle, die man als Unterweltseingang deutete, Scharen von Reisenden an. Die nur 200 m entfernt liegenden, weithin sichtbaren weißen Sinterterrassen, für die der Ort heutzutage unter dem Namen Pamukkale weltberühmt ist, empfand man hingegen offensichtlich nicht einmal als erwähnenswert. Mit dem Artemistempel von Ephesos, dem Maussolleion von Halikarnassos und dem Koloss von Rhodos liegen zudem drei der Sieben Weltwunder im Untersuchungsgebiet, die jedoch, anders man erwarten würde, als touristische Ziele keine hervorgehobene Rolle gespielt zu haben scheinen. Im Zentrum der Untersuchung, die die literarische Überlieferung und den archäologischen Befund gleichermaßen berücksichtigt, stehen folgende Fragen: Was wurde für sehenswert gehalten und was nicht, obwohl die Attraktivität vermeintlich auf der Hand liegt? Wie lässt sich dies erklären? In welchen Prozessen entstehen Erinnerungslandschaften, wie entwickeln sie sich, weshalb setzen sie sich gegenüber ihrer Konkurrenz durch oder scheitern mit ihrem Anspruch? Noch allgemeiner formuliert: Wie prägt ein physischer Raum die mündliche und schriftliche Überlieferung, und wie gestalten umgekehrt Sprache und Text einen physischen Raum oder zumindest seine Wahrnehmung? Wie steht die touristische Infrastruktur, als ein wichtiger Indikator für den Umfang des Reiseaufkommens, jeweils in Bezug zum besuchten Ort? Anhand ausgewählter Fallbeispiele werden diese Fragen für die ganze Bandbreite an Typen von Sehenswürdigkeiten durchgespielt: an von Menschen wie von der Natur geschaffenen, an (bezogen auf die Antike) zeitgenössischen wie uralten, an griechisch-römischen wie ‚barbarischen‘. Das bemerkenswerte Desinteresse griechischer und römischer Autoren an den reichen Denkmälern anderer Kulturen Kleinasiens wird ebenso herausgearbeitet wie die tiefgreifenden Änderungen durch das Christentum und das gegenüber unserer Zeit ganz anders gelagerte Interesse an der Natur. Die Arbeit nimmt die Ähnlichkeiten zu Spätantike und Neuzeit in den Blick, aber auch die in der Forschung bislang kaum beachteten Unterschiede.