Scham und Würde
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Menschliche Lebendigkeit zu verstehen, verlangt einen Nach- und Mitvollzug, der an der Anschauung dieser Lebendigkeit anzusetzen hat. Von einem solchen synthetischen Verfahren ist bereits die Wahrnehmung geprägt. Dafür stehen die Konzepte der symbolischen Prägnanz bei Cassirer und der sinnlichen Verkörperungsmodi bei Plessner. Sie lassen sich auf die Erscheinung des Menschen selbst anwenden. Dann zeigt sich, dass das menschliche Leben von der sinnlichen Wahrnehmung bis hin zur geistigen Sinngebung von Antinomien durchzogen ist, von einem Widersinn, dem sich scheinbar kein Sinn abringen lässt. Gerade diese fundamentale Gebrochenheit aber macht die Würde aus, die sich der Mensch zuschreibt; ihr Gegenpol ist die Beschämbarkeit bzw. Schamhaftigkeit. Die lebendigen Synthesen entzünden sich am Körperleib und prägen ihn. Er ist sie und zeigt sie. Das macht am Ende auch die Leibessynthese von Leben und Tod deutlich. Der Tod, der etwas anderes ist als das Leben und dennoch in es hineinwirkt, muss es sich gefallen lassen, auch umgekehrt vom »Abglanz« des Lebens gestreift zu werden. Gerade der Tote erscheint uns im Licht einer Würde, deren Verletzung als Schandtat gilt. Philosophisch-systematisch und historisch geht der Weg von Kants Kritizismus als einem Verfahren, das die Synthesis nicht unsachgemäß zerlegt und dabei zerstört, zu einem Denken, das seinerseits Kant nicht zerlegt, sondern seine offene Systematik weiter vorantreibt, erneuert und erweitert (so bei Dilthey, Simmel, Cassirer und Plessner).