Rainer Plum - der kristalline Raum
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Der kristalline Raum Mit Laserlicht erzeugte Linien schaffen Flächen und Ebenen, die eigentlich nicht existieren, teilen den Raum in neue Räume. Wände entstehen, wo keine sind, scheinbar greifbare Flächen wabern dunstig, hart begrenzt von rot leuchtenden Linien. Der Raum erhält eine neue und bisher ungesehene fragil wirkende Architektur. Und unversehens nehmen die Lichtlinien auch den Betrachter mit ins Gesamtbild auf, fragmentieren ihn ebenso wie den nicht mehr sichtbaren Raum. Nicht-Vorhandenes wird ins Bild gebracht. „Spiele nicht, was da ist, spiele das, was nicht da ist.“ Das hat Miles Davis einmal gesagt. Was dem Ohr das Hörbarmachen des Ungehörten, Unhörbaren, Unerhörten ist, ist dem Auge das Sichtbarmachen des Ungesehenen, des vielleicht sogar Unsehbaren. Existenzielle Bedeutsamkeit scheint durch, um so mehr dann, wenn es sich um ein vergängliches, zeitlich begrenztes Werk handelt. Keines, das auf ewige Gültigkeit zielt und Wahrheit beansprucht. Rainer Plums „kristalliner Raum“ nutzt die materielle Vorgegebenheit des Raumes, um ihn aufzulösen und ihm eine auf ein paar Wochen begrenzte eigene Existenzform zu verleihen. So wie es nun mal die Zeitlichkeit ist, die die Existenz bestimmt. Es wirft sich die Frage auf: Welcher Raum existiert in dieser Zeit? In diesem ZeitRaum, während jener paar Wochen, in denen die Installation Nichtvorhandenes ins Licht hebt. Keinesfalls scheint es jener karge schmucklose Kellerraum zu sein, der üblicherweise das studioblau manifestiert. Natürlich aber ist es genau dieser Raum, derselbe wie immer, nun allerdings in eine neue Dimension verschoben oder in dem eine neue Dimension installiert wird. Man fühlt sich hinausgetragen, hinaus fast in einen anderen Kosmos, das liegt nahe. Aber dennoch lassen die klaren Linien diesen Kosmos eben nur fast entstehen, kennt die Natur doch keine absoluten Geraden, keine rechten Winkel. Vielleicht denkt man an ein Raumschiff, der Laserstrahl hat noch immer etwas Futuristisches. Aber man weiß ja, wo man ist – und trotzdem entfernt man sich bei längerer Betrachtung, verliert sich vielleicht sogar, ein kurzes Schwindelgefühl mag einsetzen. Nur für einen kurzen Moment. Und in diesem Moment, wo ist man da? Und wann? Es ist dies womöglich nur die Nuance eines Heraustretens aus dem Gegenwärtigen, aus dem Hier und Jetzt, die den Blick für eine Dimension öffnet, die allgegenwärtig und unsichtbar uns immer umgibt. Das ist nichts Esoterisches und kein Paralleluniversum, kein gekrümmter Raum und keine Zeitreise. Es ist ein Moment der Dekonstruktion des Selbsterschaffenen, ein Hauch des Sehens des Anderen. Dieser Moment wird nicht lange andauern, denn er konkurriert mit dem Konstrukt, das wir unsere Wirklichkeit nennen. Denn die eigene Wirklichkeit nimmt man immer und überall hin mit, man wird sie nicht los. Und sie setzt sich meistens durch. Soll man sagen leider? Für all dies genügen Plum einige rot leuchtende Linien. Etwas künstlicher Nebel. Nebel, der nicht verschleiert, sondern sichtbar macht. Ohne Firlefanz, erfreulich nüchtern und minimalistisch. Denn was könnte minimalistischer sein, als eine Linie? Ein Punkt vielleicht, aber der ist ja letztlich auch nichts anderes, als die kürzest mögliche Linie. Der finnische Komponist Jean Sibelius hat einmal über sein eigenes Werk gesagt: „Meine Musik hat nichts, absolut nichts mit Zirkus zu tun; was ich zu bieten habe, ist klares, kaltes Wasser.“ Das klingt doch schon sehr kristallin. Bernd Nixdorf, Februar 2019
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- ISBN
- 9783945126615