Im System gefangen - zur Kritik systemischer Konzepte in den Sozialwissenschaften
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Systemtheoretische bzw. systemische Konzepte erfreuen sich nicht nur in den Sozialwissenschaften zunehmender Verbreitung und Beliebtheit. Umgekehrt jedoch zur expansiven Ausbreitung in unterschiedlichen Disziplinen und der Verwendung in praktischen Anwendungsfeldern sind kritische Auseinandersetzungen mit der wissenschaftstheoretischen Fundierung und Aussagekraft systemischer Prinzipien in sozialwissenschaftlichen Handlungsfeldern noch recht spärlich. Neben einem empirischen Defizit der zumeist auf abstraktem Argumentationsniveau vorgetragenen Programmatiken wird abgesehen von ihrer wissenschaftlichen Unzulänglichkeit und inneren Widersprüchlichkeit deren gesellschaftliche Funktion und Verwendung selten kritisch hinterfragt. Als Ersatz für einen konsistenten Diskurs der Gültigkeit und Erklärungskraft des neuen „Paradigmas“ wird zumeist die Popularisierung interdisziplinärer Fragestellungen und Theoriefragmente unter Anleihen bei naturwissenschaftlichen Konzepten (etwa Systemkonzepte in der Biologie und Neurowissenschaften, Kybernetik, Chaostheorie) angepriesen. Hegelianisch inspiriert ist man geneigt zu formulieren, systemisches Denken sei Mode in Gedanken gefasst, ein Umstand, welcher Außenstehenden durchaus nicht verborgen geblieben ist. Ob daher ein Erkenntnisfortschritt bloß durch semantischen Sprachwandel vorgetäuscht wird, bleibt jenseits solcher methodischen Modernisierungsattitüde vorerst offen. Vielmehr bleibt zu fragen, ob durch eine ausufernde systemische Anreicherung und Universalisierung letztlich sogar ein Rückfall hinter längst ausgestanden geglaubte Kontroversen oder gar eine Banalisierung von Sichtweisen erfolgt. Es ist daher an der Zeit, systemische Modeerscheinungen kritischer zu beurteilen und durchaus mit Rückgriff auf historische Kategorien und Vergleiche systemische Selbstherrlichkeit zu erschüttern.