Staat machen
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Der Wahlausgang von September 1998 hat die CDU als „geborene“ Regierungspartei härter getroffen, als sie sich selbst eingestehen will. Die anhaltende Rede von „der“ Opposition ist ein Indiz dafür, daß die Partei das ganze Ausmaß der Veränderung noch nicht begriffen hat. Denn es gibt die Opposition eben nicht länger im Singular, sondern Oppositionsparteien im Plural. Jeder Blick ins Parlament macht klar, daß die heutige Regierung von zwei Seiten attackiert wird, von rechts und von links. Deren selbstgerechter Anspruch, die neue Mitte vorzustellen, läßt sich kaum besser illustrieren. Das macht es für die Union nicht leichter. Erschöpft durch die selbstgefällige Personalpolitik Helmut Kohls, ist die Partei dabei, den Anschluß zu verpassen. Ihre Polemik gegen die imaginären Gefahren einer „Berliner Republik“ trägt dazu bei, daß sich dieser einstweilen noch diffuse, doch offensichtlich zukunftsträchtige Begriff mit Rot und Grün verbindet, während die CDU als Nachlaßverwalterin des Alten in Bonn zurückbleiben könnte. Isoliert, schrieb Golo Mann vor vielen Jahren, könne das konservative Prinzip nicht mehr wirken, nur noch „im Großen und Ganzen der Gesellschaft“. Wenn das auch jetzt noch gelten sollte: Wie kann die Union unter solchen Umständen Profil und Wahlen gewinnen? Vielleicht als radikaler Anwalt der bürgerlichen Freiheit. Wenn sie Bürgernähe dadurch beweist, daß sie sich angesichts des wachsenden Abstands zwischen Staat und Gesellschaft konsequent auf die Seite der Bürger schlägt, könnte sie gewinnen. Die Union muß sich allerdings zu zweierlei bereit finden: Sie hätte Abschied zu nehmen von der Rolle einer etablierten Staatspartei, und sie müßte das europäische Projekt mit mehr Vorsicht betreiben als bisher. Denn in Brüssel kulminieren die bürgerfremden und bürgerfeindlichen Tendenzen, die aus der Demokratie mit der Zeit eine Farce machen. Beides wird der CDU nicht leicht fallen, denn es bedeutet einen Bruch mit dem, was man das System Kohl zu nennen pflegt.