Marias
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Ausgehend von historischem Material aus drei Jahrhunderten, das Sophie Reyer aus Archiv-Recherchen in einem Frauen-Dokumentationszentrum und in einer Haftanstalt bezog, breitet die Autorin einen nicht enden wollenden Katalog von „Kindsmörderinnen“ aus. Auf verschiedenen Erzählwegen und aus mehreren Perspektiven – aus jener der betroffenen Frauen selbst, jener eines religiös konnotierten Über-Ichs sowie aus jener einer urteilenden und strafenden Gesellschaft – durchmisst die Autorin Seelentopographien jenseits landläufiger Täter-Opfer-Zuschreibungen. Unterbrochen wird der derart mehrstimmig angelegte, von Anfang bis zum Ende durchrhythmisierte Erzählfluss immer wieder durch lakonische Kommentare aus dem Blickwinkel eines zeitgenössisch-aufgeklärten, feministischen Bewusstseins, das die zitierten Quellen sowie Verwendungsweisen des Medea-Motivs in der Hohen Literatur oder im Sensationsjournalismus kritisch hinterfragt. Mittels tektonischer Bezugnahmen auf die kirchenmusikalische Gattung des Requiems entwickelt Sophie Reyer für „MARIAS. Ein Nekrolog“ eine außergewöhnliche Form profanen Totengedenkens, dessen Intention nicht zuletzt darin besteht, „mundtot“ gemachten Frauen eine Stimme zu verleihen.