Tomaten
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Reed Gračev (1935-2004) gehört zu den vergessenen Schriftstellern der jungen Leningrader Literatur der 1960ger Jahre. Ihre prominentesten Vertreter, der Dichter Joseph Brodsky und der Prosaautor Andrej Bitov, genießen heute Weltruhm. Dabei war es der fünf Jahre ältere Gračev, zu dem Bitov damals aufsah und den er später als einen seiner »Lehrer in der Prosa« bezeichnete. Für Joseph Brodsky war Reed Gračev 1967 schlicht der „beste russländische Literat unserer Zeit“. Getragen von den Hoffnungen der »Tauwetter«-Periode stellte der junge Autor den einzelnen Menschen und sein Recht auf Individualität in den Mittelpunkt seiner Erzahlungen– für die sowjetische Literatur Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre eine unerhörte Innovation, unerhört auch deshalb, weil damit implizit die Forderung nach persönlicher Freiheit einherging. In der Titelerzahlung »Tomaten« macht er uns zu Beobachtern stummer Frustration und eskalierender Gewalt. Allein die schimmernden roten Gartenfrüchte erinnern an das verheißene Paradies auf Erden, an Schönheit und Lebendigkeit. Die Erzählungen über Kindheit und Jugend in sowjetischen Kinderheimen reflektieren in meisterlich gebauten Dialogen emotionale Dramen und Szenen von Ausgeliefertsein und zaghafter Hoffnung. Trotz der Anerkennung und Fürsprache arrivierter Schriftsteller wurden Gračevs Erzählungen in der Sowjetunion nicht gedruckt. Nach dem Ausbruch einer psychischen Erkrankung Ende der 1960ger Jahre wurde es still um den einstigen Star der Leningrader Literaturszene, der sich auch als Übersetzer von Saint Exépury und Camus sowie als Essayist einen Namen gemacht hatte. Gračevs Stil ist auf das Äußerste reduziert – nicht Überflüssiges, das ablenkt, kein Dekor, das die Erschütterungen mildert. Es mögen die Eigenschaften von Reed Gračevs Prosa gewesen sein, die den Übersetzer Peter Urban (1941-2013) mit seiner Vorliebe für literarische »Genauigkeit und Kürze« überzeugten. Er hat die vorliegenden acht Erzählungen ausgewählt und trotz seiner schweren Erkrankung bis zuletzt an der Übersetzung gearbeitet. Peter Urban zu Ehren erscheint posthum der vorliegende Band.
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