Der blinde Adler : Reflexionen über Deutschland
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„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“, dichtete Heinrich Heine vor 160 Jahren im französischen Exil. Der Stoßseufzer wurde zum geflügelten Wort für Generationen deutscher Patrioten, die an ihrem Vaterland litten wie an einer unglücklichen Liebe. Deutschland – das war über die längste Zeit seiner Geschichte ein amorphes Gebilde mit diffusen Konturen, in sich gespalten und zerrissen, ständig schwankend zwischen manischer Selbstüberhöhung und depressiver Selbstaufgabe. Der stolze Adler, Wappentier der Deutschen durch alle Metamorphosen ihrer Geschichte, glich eher einem blinden Vogel, der, getrieben von der Jagd nach imaginärer Macht und Größe, oft genug an den Klippen der Wirklichkeit abstürzte. Der letzte Höhenflug endete in der tiefsten Katastrophe, die die Nation je erlebte. Allmählich haben wir wieder Grund unter den Füßen, doch wir müssen aufpassen, dass wir nicht abermals die Orientierung verlieren. Die alten Bindungen und Sicherheiten lösen sich auf, und neue sind noch nicht erkennbar. Die wirkliche Bewährungsprobe als Demokraten haben wir erst noch zu bestehen.
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