Reisetagebuch
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"Zoppi, zwölf Jahre jünger als Steffen, schilderte uns in seinen Büchern mit dem Auge erfaßbare Tessiner Landschaften. Sein patriotisches Herz schwang mit. Ausländische Schriftsteller seiner Generation, vorübergehend im Tessin oder niedergelassen, erlebten das Paradiesische der Landschaft und sahen meist an der Armut vorbei. Die Schriftsteller unserer Gegenwart zeigen auf oder klagen weitgehend an. Zwischen ihnen steht Steffen. Im Hotel, auf halber Höhe eines Berghanges, in Ascona, hat er eine Gespräch mit der Saaltochter, 'die sagt, wenn es draußen trüb sei, lasse sie die Sonne im Herzen leuchten. Das haben die größten Philosophen umsonst versucht, sage ich'. Dieser Satz führt uns mitten in Steffens Weltanschauung und Erkenntnissuchen.'Der moralische Mensch darf sagen: In mir ist eine höhere Natur. Meine physischen Kräfte sind es, welche zu einer höheren Erde führen, wie die Kräfte, die im Blatte der Pflanze wirken und mit Hilfe des Kosmos die Blüte hervorbringen.' In Ascona begegnete er der russischen Malerin Marianne Werefkin. Sie wohnte in einem der farbigen Häuser am See, 'dort, wo die Fischernetze ausgespannt werden, die Schiffe anlegen.' Und er stellte fest, daß Marianne am Fenster ihre Staffelei aufgestellt hatte. Sie sagte: 'Das ist alles, was mich anregt'. Steffen: 'Menschen, mit denen sie über ihre Bilder sprechen kann, hat sie nicht. Man besucht sie ihrer Gespräche, nicht der Kunst wegen'. Wie keiner, der bisher über die inzwischen weltweit bekannt gewordene Malerin schrieb, zeichnet Steffen skizzenhaft und trefflich ein Bild von ihr: '. Das schaut aus ihren großen, brennenden, sternenhaften Augen. Sie haben noch den Engel in sich, der mit dem Dämon kämpft und ihnen vom Leben in den Himmeln und den Höllen erzählt. Und dieser Engel blickt auf den See. Da tritt aus den Wellen ein Wesen, und aus dem Abendrot senkt sich ein anderes Wesen. Es kommen solche aus den engen Gäßchen, und sie, die Lebende, alt und bucklig, in roter Kappe und braunem Schal, ist selbst eine unsterbliche Gestalt. Sie holt immer neue Bilder. Es wird ihr schwer, denn sie hat eine lahme Hand, die auf der Jagd durchschossen wurde. Da sind umbrische Landschaften, Prozessionen von Pilgern in Schluchten. Sie zeigt Franziskus und den Wolf, der betend die Pfote hebt: 'Ich selbst', sagt sie 'bin der Wolf. Aber eben der Bekehrte'. Landschaften erlebt Steffen nicht nur mit dem physischen Auge. Sie verhelfen ihm zur Meditation: 'Bevor die Berge im Abendrot erglühen, senkt sich ein Regenbogen steil auf die Schneeflächen des Berges am jenseitigen Ufer. Höchstes Symbol: auf dem ewigen Schnee diese reinsten Farben. Wir sehen es zu dritt von unserem Fenster aus. Der Blick geht auf die Gärten mit ihren Mimosen, Kamelien, Palmen und blühenden Pfirsichbäumchen. Es ist das Bild, an das ich in den folgenden Tagen meine Meditation anknüpfe.' Neben Begegnungen mit Marianne von Werefkin führt das 'Reisetagebuch' solche mit James Joice, Alexei Remisow, Thornton Wilder, Bruno Walther an, Erlebnisse an Werken der Malerei in Ausstellungen führen zu Rembrandt, Munch, Modigliani, Chagall, Picasso. Von Claudel, Anouilh, Cocteau und Brecht ist die Rede. Albert Steffen war eine markante, in sich gekehrte, imposante Gestalt. In Basels Strassen hielt man an, wenn man ihm begegnete, ob man ihn oder sein Werk kannte oder nicht. Ein ruhender Pol inmitten eines nervösen, geschäftigen Treibens. „